Der Paritätische in Bayern in der „Flüchtlingskrise“
Ab 2014 kommt eine immer größere Zahl an Geflüchteten nach Deutschland. Auch der Paritätische in Bayern und seine Mitgliedsorganisationen packen mit an, um den ankommenden Menschen zu helfen. Dabei hat der Paritätische in Bayern einmal mehr den Schutz von Frauen besonders im Blick.
Eine Entwicklung zeichnet sich ab
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Bilder wie diese werden im Sommer 2015 um die Welt gehen: Geflüchtete werden von einem überfüllten Boot auf dem Mittelmeer gerettet.
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Auf der sogenannten Balkanroute sind die Menschen zu Fuß bis nach Mitteleuropa unterwegs. Hier nahe der Grenze zwischen Ungarn und Serbien.
Der Paritätische in Bayern hat sich in der Vergangenheit immer wieder um Geflüchtete gekümmert: Erst kamen sie aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten und der DDR, später aus Vietnam. Mit Beginn der 2010er Jahre kommt eine neue Herausforderung auf den Verband zu. Denn: Weltweit sind immer mehr Menschen auf der Flucht. Das hängt vor allem mit dem „Arabischen Frühling“ zusammen: In vielen Staaten in Nordafrika wehren sich die Menschen gegen die autoritären Regierungen, unter denen sie bisher leben mussten. Die Machthabenden haben jahrzehntelang mit Gewalt verhindert, dass die Bevölkerung sich wehrt oder flieht. Jetzt werden diese Machthabenden gestürzt – und in den meisten dieser Länder kommen islamistische Parteien oder autoritäre Militärregierungen an die Macht. Viele Menschen sehen die Flucht jetzt als einzigen Ausweg.[1] Auch in Syrien wehren sich die Menschen gegen die Regierung und es beginnt ein Bürgerkrieg. Von 2011 bis 2015 werden etwa 60 Prozent der syrischen Bevölkerung aus dem Land flüchten. Das sind mehr als 12 Millionen Menschen.[2]
Der 1. September 2015: Ganz Deutschland schaut auf Bayern, denn hier kommen jetzt besonders viele Geflüchtete an. Auch die tagesschau berichtet darüber. In den deutschen Medien gibt es im Sommer 2015 kaum ein anderes Thema, das so präsent ist.
„Eine ganz andere Bedeutung“
Auf die Wohlfahrtsverbände kommen jetzt neue Aufgaben zu. Im ersten Moment ist der Paritätische in Bayern davon weniger betroffen als andere Verbände: Caritas und Diakonie sind im Bereich Flucht und Migration schon lange besonders engagiert – viel stärker als der Paritätische in Bayern.[3] Das ist schon seit Jahrzehnten so und hat gute Gründe. Aber: „Die Flüchtlingshilfe hat in diesen Jahren eine ganz andere Bedeutung angenommen. Es ging nicht mehr nur um Unterkunft und Verpflegung, sondern weit darüber hinaus“, wird sich Wilfried Mück, der Geschäftsführer des Landes-Caritasverbands Bayern, später erinnern.[4] Jetzt ist auch der Paritätische in Bayern gefragt.
Frauen besonders im Blick
Polina Hilsenbeck wird später sagen: „Das hat mich umgehauen.“[5] Damit wird sie den Anblick meinen, der sich ihr jetzt täglich bietet: Polina Hilsenbeck pendelt jeden Tag mit dem Zug aus ihrem Wohnort Uffing am Staffelsee mit dem Zug nach München. So erlebt sie hautnah, was sich am Hauptbahnhof abspielt. Gemeinsam mit anderen ruft sie das Aktionsbündnis für Flüchtlingsfrauen ins Leben. Denn: Gerade in dieser Ausnahmesituation darf nicht aus dem Blick geraten, dass Frauen besonders gefährdet sind. Für ihren Schutz wird sich das Aktionsbündnis in den folgenden Jahren einsetzen.
Auch andere Menschen im Paritätischen in Bayern haben den Schutz von Frauen besonders im Blick. Das ist wichtig: Viele geflüchtete Frauen kommen allein in Bayern an, auch wenn sie ihre Flucht mit Angehörigen zusammen begonnen haben. Häufig haben sie während ihrer Reise Gewalt erleben müssen. Drei Mitgliedsorganisationen des Verbands, darunter die Frauenhilfe München, eine Tochtergesellschaft des Paritätischen in Bayern, starten deshalb ein gemeinsames Projekt: Sie eröffnen eine Einrichtung für Geflüchtete, in der nur Frauen – und ihre Kinder – aufgenommen werden. So soll sichergestellt werden, dass die Frauen geschützt und gut betreut in Deutschland ankommen können. Anfang 2016 wird die Übergangseinrichtung eröffnet. Es ist ein Kooperationsprojekt von Condrobs, Frauenhilfe und pro familia. Condrobs fungiert dabei als federführender Träger. Es ist die erste Flüchtlingsunterkunft in Bayern nur für Frauen.[6]
Neue Organisationen entstehen
In dieser besonderen Situation entstehen auch neue soziale Organisationen, die sich dem Paritätischen in Bayern anschließen – nicht nur in München. Ein Beispiel ist der Verein CampusAsyl in Regensburg. Er ist aus einer Initiative von Studierenden entstanden, die 2014 gegründet wurde. 2017 hat der Verein schon 170 Mitglieder. Er bietet unter anderem Sprachkurse, eine Kleiderkammer und viele verschiedene Freizeitaktivitäten für Geflüchtete an. Dabei sollen die aber nicht bevormundet werden. Deshalb wird ein „Flüchtlingsbeirat“ eingerichtet: Etwa 12 Geflüchtete vertreten hier ihre eigenen Interessen. Sie beraten den Verein und helfen aktiv mit. CampusAsyl bleibt seiner Herkunft treu: Der Kontakt zu Hochschulen und Wissenschaft soll nicht abreißen. Deswegen baut der Verein ein „Wissenschaftsnetzwerk Migration“ auf und unterstützt „die wissenschaftliche Arbeit zu Migrationsprozessen am Standort Regensburg“.[7] In den folgenden Jahren wird der Verein mit vielen Preisen ausgezeichnet werden, zum Beispiel mit dem Luise Kiesselbach Preis für Bürgerschaftliches Engagement.[8] Er wird immer weiter wachsen und seine Angebote ausweiten. Dabei macht auch CampusAsyl Projekte für Frauen zu einem Schwerpunkt seiner Arbeit. Für sie werden bald zum Beispiel eigene Fahrrad- und Computerkurse angeboten. Auch sogenannte Mother- und FatherSchools für Mütter und Väter von jugendlichen Kindern entwickelt der Verein.[9]
Auch Selbsthilfeorganisationen von Geflüchteten entstehen und werden Mitglieder im Paritätischen in Bayern. we integrate aus Nürnberg ist ein Beispiel dafür. In diesem kurzen Film wird der 2019 gegründete Verein und seine Arbeit vorgestellt.
Quellen und Literatur
Quellen:
- CampusAsyl Jahresbericht 2023, in: https://campus-asyl.de/ueber-uns/jahresberichte/ (aufgerufen: 3.5.2024).
- O. A.: Flüchtlingsunterkunft für Frauen, in: https://www.paritaet-bayern.de/spenden-und-mitmachen/details/fluechtlingsunterkunft-fuer-frauen (aufgerufen: 3.5.2024).
- O. A.: CampusAsyl e.V., in: https://www.paritaet-bayern.de/der-paritaetische/mitgliedschaft/luise-kiesselbach-preis/campusasyl-ev (aufgerufen 19.6.2024).
- Tätigkeitsbericht des CampusAsyl e.V. für das Jahr 2017, in: https://campus-asyl.de/ueber-uns/jahresberichte/ (aufgerufen: 3.5.2024).
- Zeitzeugengespräch mit Wilfried Mück am 21. März 2024.
- Zeitzeuginnengespräch mit Polina Hilsenbeck am 3. April 2024.
Literatur:
- Herbert, Ulrich/Schönhagen, Jakob: Vor dem 5. September. Die „Flüchtlingskrise“ 2015 im historischen Kontext, in: Aus Politik und Zeitgeschichte (2020) Heft 30-32, S. 27–36.
Einzelnachweise
- ↑ Vgl. Herbert, Ulrich/Schönhagen, Jakob: Vor dem 5. September. Die „Flüchtlingskrise“ 2015 im historischen Kontext, in: Aus Politik und Zeitgeschichte (2020) Heft 30-32, S. 32.
- ↑ Vgl. Herbert/Schönhagen: Vor dem 5. September, S. 34.
- ↑ Zeitzeugengespräch mit Wilfried Mück am 21. März 2024.
- ↑ Ebd.
- ↑ Zeitzeuginnengespräch mit Polina Hilsenbeck am 3. April 2024.
- ↑ Vgl. O. A.: Flüchtlingsunterkunft für Frauen, in: https://www.paritaet-bayern.de/spenden-und-mitmachen/details/fluechtlingsunterkunft-fuer-frauen (aufgerufen: 3.5.2024).
- ↑ Tätigkeitsbericht des CampusAsyl e.V. für das Jahr 2017, in: https://campus-asyl.de/ueber-uns/jahresberichte/ (aufgerufen: 3.5.2024), S. 1.
- ↑ O. A.: CampusAsyl e.V., in: https://www.paritaet-bayern.de/der-paritaetische/mitgliedschaft/luise-kiesselbach-preis/campusasyl-ev (aufgerufen 19.6.2024).
- ↑ Vgl. CampusAsyl Jahresbericht 2023, in: https://campus-asyl.de/ueber-uns/jahresberichte/ (aufgerufen: 3.5.2024).
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