Menschen, Organisationen und Einrichtungen des Paritätischen in Bayern während der Zeit des Nationalsozialismus

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1933 beginnt der Auflösungsprozess, an dessen Ende der Paritätische in Bayern nicht mehr existieren wird. Wie es den Menschen und Organisationen ergeht, die den Verband bisher ausgemacht haben, ist sehr unterschiedlich. Das zeigt ein Blick auf die hier vorgestellten Beispiele.

Jüdinnen und Juden werden fallengelassen

Nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten 1933 nimmt die schrittweise Auflösung des Paritätischen in Bayern ihren Lauf. Jüdinnen und Juden werden jetzt gezielt aus den Verbandsstrukturen gedrängt. Ein Beispiel dafür ist Elise Hopf. Sie gehört zu einer wohlhabenden jüdischen Familie, die in Nürnberg seit Jahrzehnten soziale Projekte und Einrichtungen unterstützt.Referenzfehler: Ungültige Verwendung von <ref>: Der Parameter „ref“ ohne Namen muss einen Inhalt haben. 1911 haben die Hopfs das Mittelfränkische Blindenheim gegründet. Es ist seit 1925 Mitglied im Paritätischen in Bayern.[1] Elise Hopf war eine enge Vertraute von Luise Kiesselbach. Auch sie ist eine engagierte Frauenrechtlerin. Sie ist Mitglied des Vorstands des Paritätischen in Bayern, hat den Ortsverband Nürnberg aufgebaut und ist seine Vorsitzende.[2] Elise Hopf gehört zu den wichtigsten Gründungspersönlichkeiten des Verbands. 1933 muss sie alle ihre Ämter niederlegen. Von dem Verband, den sie selbst so tatkräftig mit aufgebaut hat, erhält die Jüdin keine Unterstützung.

Genauso ergeht es Sophie Dann. Die hat 1930 die Augsburger Mütterschule gegründet. Darum hatte sie der Stadtbund Augsburger Frauenvereine gebeten. Sophie Dann ist ausgebildete Erzieherin und Säuglingspflegerin und hat in der Vergangenheit schon das Jüdische Waisenhaus in München geleitet. An der Augsburger Mütterschule werden Kurse für junge Frauen und Mädchen angeboten und Sozialarbeiterinnen weitergebildet. „Es war eine sehr interessante Arbeit und so schön, etwas ganz von Anfang an zu beginnen. Sogar nach 55 Jahren bedankten sich noch manche Mütter bei mir für das, was sie damals gelernt hatten“, wird sich Sophie Dann später erinnern.[3]

Im Sommer 1933 wird Sophie Dann in einem Brief vom Stadtbund Augsburger Frauenvereine über ihre Kündigung informiert. Der Grund: Der Paritätische in Bayern hat seine Mitgliedsorganisationen dazu aufgefordert, alle „Mitarbeiter nicht arischer Abstammung in bevorzugten Stellungen“ zu entlassen. Dieser Aufforderung kommt der Stadtbund sofort nach. Sophie Dann, die die Augsburger Mütterschule seit der Gründung leitet, muss gehen. Nach ihrer Entlassung kümmert sich die 33-Jährige um die etwa 1.000 Mitglieder der jüdischen Gemeinde in Augsburg. Die sind ab sofort von der Wohlfahrtspflege ausgeschlossen. Sie bietet auch Mütterschulkurse für jüdische Mädchen an, die eine Auswanderung planen. Letztendlich wird Sophie Dann selbst auswandern. Sie wird sich in England ein neues Leben aufbauen. Zum Paritätischen in Bayern wird sie nie zurückkehren.Referenzfehler: Für ein <ref>-Tag fehlt ein schließendes </ref>-Tag.

Unterschiedlicher Umgang mit NS-Ideologie

Die nicht von Rassismus betroffenen Menschen im Paritätischen in Bayern gehen mit den neuen Verhältnissen unterschiedlich um. Anna Heim-Pohlmann ist von der Neuausrichtung der Fürsorge und Wohlfahrtspolitik nicht begeistert. Diese Meinung versteckt die Leiterin der Sozialen Frauenschule nicht. Deswegen wird sie 1933 entlassen. Die zukünftigen Wohlfahrtspflegerinnen, die an der Sozialen Frauenschule ausgebildet werden, sollen auch ideologisch geschult werden. Da kann man eine Demokratin wie Anna Heim-Pohlmann nicht gebrauchen.

Die Absolventinnen der Sozialen Frauenschule arbeiten zum Beispiel in der Familienfürsorge, bei Elisabeth Bamberger. Sie passt sich den neuen Gegebenheiten besser an. Als Teil des Münchner Wohlfahrtsamts beteiligt sie sich an der Verfolgung von Menschen, die als „asozial“ gelten. Dieser Begriff beschreibt oft Menschen, die Hilfe benötigen, aber sie vermeintlich nicht verdient haben. Ihnen wird vorgeworfen, an ihrer Situation selbst Schuld zu sein und die Gesellschaft zu schädigen.[4] Eine eindeutige Definition davon, wer „asozial“ ist, gibt es nicht.[5] Das lässt viel Spielraum für willkürliche Entscheidungen. Die Fürsorge erlebt eine „rassenhygienische Wende“[6]: Die Verfolgung von „Asozialen“ wird zu einem Werkzeug, um vermeintlich minderwertige Menschen aus der Gesellschaft zu entfernen.

Die Idee ist nicht neu – auch nicht für den Paritätischen in Bayern: Schon 1924 hat der Verein für Fraueninteressen einen Vortragsabend „über Rassenhygiene und soziale Fürsorge“ organisiert.[7] Die Schlussfolgerung damals: „Die Vorschläge zur Verbesserung, zur Hebung der Rasse müssen naturgemäß immer auf eine Verhinderung der Fortpflanzung minderwertiger Individuen abzielen.“[8] Auch im Paritätischen Gesamtverband auf Reichsebene hat es schon in den 1920er Jahren Menschen gegeben, die Zwangssterilisationen gefordert haben.[9]

Das Ende der organisierten Selbsthilfe

In der wirtschaftlichen Krisenzeit, in der auch der Paritätische in Bayern gegründet wurde, sind aus der Not heraus viele Selbsthilfeorganisationen entstanden und haben sich dem Verband angeschlossen. Jetzt sind sie nicht mehr erwünscht: Der nationalsozialistische Staat soll alles kontrollieren. Selbstorganisation und gegenseitige Hilfe außerhalb der staatlichen Strukturen stehen dem im Weg. Deshalb werden die Organisationen jetzt aufgelöst oder von der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) geschluckt. So ergeht es zum Beispiel dem Deutschen Notbund geistiger Arbeiter in Bayern. Der Verein wurde 1923 gegründet und ist seit 1926 Mitglied im Paritätischen. Er kümmert sich um von Armut bedrohte Mitglieder der freien Berufe, zum Beispiel arbeitslose Künstler*innen, Anwält*innen und Ärzt*innen. Die Münchner Organisation betreut über 500 von ihnen.[10]

Im Mai 1936 muss der Notbund auf Druck der NSV seine Auflösung bekanntgeben. Die NSV soll seine Arbeit weiterführen. Sie benennt den Notbund um. Er heißt ab 1937: Kulturfonds zur Förderung geistiger Arbeiter. Ab jetzt geht es nicht mehr darum, notleidenden Menschen zu helfen und sie vor Armut zu bewahren. Stattdessen können sich Freiberufler*innen jetzt beim Kulturfonds um finanzielle Förderung bewerben – wenn sie nachweisen können, dass sie NS-politisch besonders engagiert sind. Mit der gegenseitigen Unterstützung in Notsituationen, wie sie der Notbund im Sinn hatte, hat das nichts mehr zu tun. Anderen Selbsthilfeorganisationen ergeht es genauso.[11] Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wird es Jahrzehnte dauern, bis in Deutschland eine neue Selbsthilfebewegung entsteht.

Quellen und Literatur

Quellen: Geschäftsführender Vorstand des Fünften Wohlfahrtsverbands (Hg.): Verzeichnis der dem Fünften Wohlfahrtsverband angeschlossenen Einrichtungen der geschlossenen, halboffenen und offenen Gesundheits-, Erziehungs- und Wirtschaftsfürsorge nebst Personal-Verzeichnis des Vorstandes, der Landes- und Provinzialvertretungen usw. Berlin 1930. Kiesselbach, Luise: Paritätischer Wohlfahrtsverband Bayern, in: Münchner Neueste Nachrichten, Abend-Ausgabe, 2.6.1925, S. 6. Pappritz, Anna: Lebenslaufforschung von Prostituierten, in: Freie Wohlfahrtspflege (1929) Heft 3, S.109- 118. P. G.-E.: Vereinsnachrichten. Über Rassenhygiene und soziale Fürsorge, in: Münchner Neueste Nachrichten, 20.1.1924, S. 27. Römer, Gernot (Hg.): Vier Schwestern. Die Lebenserinnerungen von Elisabeth, Lotte, Sophie und Gertrud Dann aus Augsburg. Lebenserinnerungen von Juden aus Schwaben Bd. 1, Augsburg 1998.
Literatur: Brunner, Claudia: Arbeitslosigkeit im NS-Staat. Das Beispiel München, Pfaffenweiler 1997. Dippel, Andrea: Familie Hopf. Eine Nürnberger Hopfenhändler- und Bankiersfamilie, in: Gürtler, Daniel (Hg.): Die Marienvorstadt. Nürnbergs erste Stadterweiterung, Nürnberg 2022, S. 66—79. Eberle, Annette: „Asoziale“ und „Berufsverbrecher“. Dachau als Ort der „Vorbeugehaft“, in: Benz, Wolfgang/Königseder, Angelika (Hg.): Das Konzentrationslager Dachau. Geschichte und Wirkung nationalsozialistischer Repression, Berlin 2008, S. 253—268. Eberle, Annette: Sozial – Asozial. Ausgrenzung und Verfolgung in der bayerischen Fürsorgepraxis 1934—1945, in: Hajak, Stefanie/Zarusky, Jürgen (Hg.): München und der Nationalsozialismus. Menschen. Orte. Strukturen, Berlin 2008, S. 207—226. Gaida, Oliver: Zwischen Arbeitshaus und Konzentrationslager. Die nationalsozialistische Verfolgung von als „asozial“ Stigmatisierten 1933 bis 1973, in: Osterloh, Jürgen/Wünschmann, Kim: „… der schrankenlosen Willkür ausgeliefert“. Häftlinge der frühen Konzentrationslager 1933—1936/73, Frankfurt am Main 2017, S. 247—268. Gruner, Wolf: Öffentliche Wohlfahrt und Judenverfolgung. Wechselwirkungen lokaler und zentraler Politik im NS-Staat (1933—1942), München 2002. Kuhlmann, Carola: Soziale Arbeit im nationalsozialistischen Herrschaftssystem. Zur Notwendigkeit von Widerstand gegen menschenverachtende Zwangsmaßnahmen im Bereich der „Volkspflege“, in: Amthor, Ralph-Christian (Hg.): Soziale Arbeit im Widerstand! Fragen, Erkenntnisse und Reflexionen zum Nationalsozialismus, Weinheim 2017, S. 40—57.

Einzelnachweise

  1. Vgl. Geschäftsführender Vorstand des Fünften Wohlfahrtsverbands (Hg.): Verzeichnis der dem Fünften Wohlfahrtsverband angeschlossenen Einrichtungen der geschlossenen, halboffenen und offenen Gesundheits-, Erziehungs- und Wirtschaftsfürsorge nebst Personal-Verzeichnis des Vorstandes, der Landes- und Provinzialvertretungen usw. Berlin 1930, S. 21.
  2. Vgl. Kiesselbach, Luise: Paritätischer Wohlfahrtsverband Bayern, in: Münchner Neueste Nachrichten, Abend-Ausgabe, 2.6.1925, S. 6.
  3. Dann, Sophie: Sie lebte nur für andere, in: Römer, Gernot (Hg.): Vier Schwestern. Die Lebenserinnerungen von Elisabeth, Lotte, Sophie und Gertrud Dann aus Augsburg. Lebenserinnerungen von Juden aus Schwaben Bd. 1, Augsburg 1998, S. 33.
  4. Vgl. Eberle, Annette: Sozial – Asozial. Ausgrenzung und Verfolgung in der bayerischen Fürsorgepraxis 1934—1945, in: Hajak, Stefanie/Zarusky, Jürgen (Hg.): München und der Nationalsozialismus. Menschen. Orte. Strukturen, Berlin 2008, S. 209.
  5. Vgl. Gaida, Oliver: Zwischen Arbeitshaus und Konzentrationslager. Die nationalsozialistische Verfolgung von als „asozial“ Stigmatisierten 1933 bis 1973, in: Osterloh, Jürgen/Wünschmann, Kim: „… der schrankenlosen Willkür ausgeliefert“. Häftlinge der frühen Konzentrationslager 1933—1936/73, Frankfurt am Main 2017, S. 254.
  6. Eberle, Annette: „Asoziale“ und „Berufsverbrecher“. Dachau als Ort der „Vorbeugehaft“, in: Benz, Wolfgang/Königseder, Angelika (Hg.): Das Konzentrationslager Dachau. Geschichte und Wirkung nationalsozialistischer Repression, Berlin 2008, S. 259.
  7. P. G.-E.: Vereinsnachrichten. Über Rassenhygiene und soziale Fürsorge, in: Münchner Neueste Nachrichten, 20.1.1924, S. 27.
  8. P. G.-E.: Vereinsnachrichten. Über Rassenhygiene und soziale Fürsorge, in: Münchner Neueste Nachrichten, 20.1.1924, S. 27.
  9. Vgl. bspw. Pappritz, Anna: Lebenslaufforschung von Prostituierten, in: Freie Wohlfahrtspflege (1929) Heft 3, S. 118.
  10. Verzeichnis der dem Fünften Wohlfahrtsverband angeschlossenen Einrichtungen, S. 30.
  11. Vgl. Brunner, Claudia: Arbeitslosigkeit im NS-Staat. Das Beispiel München, Pfaffenweiler 1997, S. 317—319.

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