„Vom frauenbewegten Sozialverband zum männergeführten Frauenbetrieb“? Die Debatte um Gleichstellung im Paritätischen in Bayern: Unterschied zwischen den Versionen
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Der Paritätische in Bayern ist von Anfang an ein Verband, in dem Frauen eine wichtige Rolle spielen. Bei seiner [[Raus aus dem „Mauerblümchendasein“: Die Gründung des Paritätischen in Bayern|Gründung]] den 1920er Jahren und dem [[„Jetzt gibt es keine Fraueninteressen, jetzt gibt es nur eine gemeinsame Not“: Die Wiedergründung des Paritätischen in Bayern nach dem Zweiten Weltkrieg|Wiederaufbau]] nach dem Zweiten Weltkrieg leisten vor allem Frauen entscheidende Arbeit. Aber: Nach [[Der „Mittelpunkt der paritätischen Wohlfahrtspflege in München und in Bayern“: Luise Kiesselbach|Luise Kiesselbach]] gibt es jahrzehntelang keine Frau mehr an der Spitze des Verbands. Die Frauen stehen in der zweiten Reihe, sind Stellvertreterinnen und nicht selten diejenigen, die besonders engagierte Arbeit leisten. Ein Beispiel dafür ist [[Die treibende Kraft: Anna Heim-Pohlmann|Anna Heim-Pohlmann]]. Nach außen und innen wird der Paritätische in Bayern über viele Jahrzehnte von einer männlichen Führungsperson dominiert: Erst ist es der Geschäftsführer [[Für mehr Gemeinsinn und Sichtbarkeit: Bernhard Uffrecht|Bernhard Uffrecht]], dann der Vorsitzende [[Aus der Drogenhilfe zum Verbandsvorsitzenden: Alexander Eberth|Alexander Eberth]]. | Der Paritätische in Bayern ist von Anfang an ein Verband, in dem Frauen eine wichtige Rolle spielen. Bei seiner [[Raus aus dem „Mauerblümchendasein“: Die Gründung des Paritätischen in Bayern|Gründung]] den 1920er Jahren und dem [[„Jetzt gibt es keine Fraueninteressen, jetzt gibt es nur eine gemeinsame Not“: Die Wiedergründung des Paritätischen in Bayern nach dem Zweiten Weltkrieg|Wiederaufbau]] nach dem Zweiten Weltkrieg leisten vor allem Frauen entscheidende Arbeit. Aber: Nach [[Der „Mittelpunkt der paritätischen Wohlfahrtspflege in München und in Bayern“: Luise Kiesselbach|Luise Kiesselbach]] gibt es jahrzehntelang keine Frau mehr an der Spitze des Verbands. Die Frauen stehen in der zweiten Reihe, sind Stellvertreterinnen und nicht selten diejenigen, die besonders engagierte Arbeit leisten. Ein Beispiel dafür ist [[Die treibende Kraft: Anna Heim-Pohlmann|Anna Heim-Pohlmann]]. Nach außen und innen wird der Paritätische in Bayern über viele Jahrzehnte von einer männlichen Führungsperson dominiert: Erst ist es der Geschäftsführer [[Für mehr Gemeinsinn und Sichtbarkeit: Bernhard Uffrecht|Bernhard Uffrecht]], dann der Vorsitzende [[Aus der Drogenhilfe zum Verbandsvorsitzenden: Alexander Eberth|Alexander Eberth]]. | ||
Innerhalb des Verbands ist das Ungleichgewicht kein Geheimnis. Den Mitarbeitenden ist klar, dass auf den Führungspositionen Männer das Sagen haben und Frauen erst in der zweiten Reihe auftauchen. Trotzdem: Diskutiert wird darüber nicht.<ref>Zeitzeuginnengespräch mit Gabriele Krommer am 29. Januar 2024.</ref> Dabei unterstützt der Verband die [[Schutzräume statt Vanillepudding: Die Neue Frauenbewegung im Paritätischen in Bayern|Neue Frauenbewegung]] sehr – und ist dafür auch bekannt.<ref>Zeitzeugengespräch mit Wilfried Mück am 21. März 2024.</ref> Die eigenen Strukturen werden trotzdem nicht hinterfragt. Das liegt vielleicht daran, dass für viele so ein Ungleichgewicht zwischen Männern und Frauen nichts Ungewöhnliches ist. Auch in der Münchner Stadtverwaltung gibt es dieses Problem. 1985 wird deshalb eine Gleichstellungsstelle eingerichtet. Dafür haben Aktivistinnen der Frauenbewegung und einige Stadträtinnen lange gekämpft. Jetzt arbeiten in der Gleichstellungsstelle drei Frauen daran, München geschlechtergerechter zu gestalten – auch außerhalb der Stadtverwaltung.<ref>Vgl. Gleichstellungsstelle für Frauen der Landeshauptstadt München (Hg.): 30 Jahre Gleichstellungsstelle der Stadt München, München 2015, S. 6 f.</ref> | |||
==Bestandsaufnahme== | |||
Auch im Paritätischen in Bayern tut sich etwas: Seit 1980 hat der Verband eine eigene [[Schutzräume statt Vanillepudding: Die Neue Frauenbewegung im Paritätischen in Bayern|Referentin für Frauen und Familie]], Andrea Müller-Stoy. Die wird sich später erinnern: „Mir war damals aufgefallen, dass alle Leitungsfunktionen in der freien Wohlfahrtspflege von Männern besetzt waren, und das brachte mich auf die Idee, da näher hinzuschauen. [...] Ich habe daraufhin zur Gleichstellungsstelle auf Landesebene, Frau Marino, Kontakt aufgenommen. Sie war von der Idee sehr angetan und ich glaube, sie hat durch irgendeinen Topf auch die Förderung übernommen – denn das kostete ja Geld.“<ref>Zeitzeuginnengespräch mit Andrea Müller-Stoy am 20. März 2024.</ref> Das, was da Geld kostet, ist eine systematische Untersuchung der Geschlechterverhältnisse im Paritätischen in Bayern. Eigentlich hatte Andrea Müller-Stoy die Idee, gleich die gesamte freie Wohlfahrtspflege in Bayern unter die Lupe nehmen zu lassen. Aber die anderen Wohlfahrtsverbände wollen nicht mitmachen. Innerhalb des Paritätischen in Bayern hat sie Unterstützung.<ref>Ebd.</ref> | |||
Die Frauenprojekte im Paritätischen sind deutschlandweit vernetzt – im Arbeitskreis Frauenprojekte. So kommt es, dass das Thema Gleichstellung jetzt auch auf Bundesebene diskutiert wird. Im Sommer 1991 beschließt der Paritätische Gesamtverband: Die bayerische Studie soll ein Pilotprojekt sein. An den Ergebnissen wollen sich auch der Gesamtverband und die anderen Landesverbände orientieren. So wird der Paritätische in Bayern zum Vorbild, wenn es um die Gleichstellung von Frauen und Männern in den eigenen Strukturen geht. Der einzige andere Landesverband, der sich bisher mit dem Thema beschäftigt hat, ist der Paritätische in Niedersachsen.<ref>Vgl. Schröttle, Monika: Konzept zur Gleichstellung von Frauen und Männern im Paritätischen in Bayern. Analyse und Maßnahmenkatalog, München 1994, S. 9.</ref> | |||
==Ein erster Schritt== | |||
Die Untersuchung des Paritätischen in Bayern wird von der Politologin Monika Schröttle geleitet. Die veröffentlicht ihre Ergebnisse im Juli 1994. Die Broschüre berichtet nicht nur vom aktuellen Stand der Gleichstellung im Verband. Sie enthält auch ein ausführliches „Konzept zur Gleichstellung von Frauen und Männern im Paritätischen in Bayern“. Mit dem soll die Lage von Frauen im Verband verbessert werden. Die Studie hat nämlich gezeigt: Der Paritätische in Bayern hat einen Frauenanteil von 82 % unter seinen Mitarbeitenden. Die Spitzenverdiener sind ausschließlich Männer. Die Geringverdienenden sind dagegen zu 84 % Frauen. Auch die Ehrenamtlichen, die direkt für den Verband arbeiten, aber nicht dafür bezahlt werden, sind vor allem Frauen. Männer dominieren in den politisch-administrativen Ehrenämtern – auch hier gibt es also ein Machtgefälle. Jetzt steht fest: Es gibt Handlungsbedarf. Der Paritätische Gesamtverband veröffentlicht die Ergebnisse der Untersuchung in seinem Verbandsmagazin.<ref>Vgl. o. A.: Geringfügig beschäftigt = altersarm? In: nachrichten Parität (1994) Heft 5/6, S. 62.</ref> Hier macht er Gleichstellung sogar zum Monatsthema. | |||
Und tatsächlich: Im Paritätischen in Bayern werden jetzt Maßnahmen angestoßen, die die Stellung von Frauen im Verband verbessern sollen – im Großen wie im Kleinen. Klaus Cardocus leitet in den 1990er Jahren die Personalverwaltung des Paritätischen in Bayern. Er wird sich später erinnern: „Der Paritätische hat sich sehr früh mit gendern befasst, Schulungen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gemacht. War für mich damals auch neu, Gender Mainstreaming, Gleichstellungsbeauftragte und so. [...] Im Nachhinein sehe ich das positiv, obwohl ich anfangs nichts damit anfangen konnte. Ich hatte überhaupt keine Ahnung, was überhaupt gemeint ist. Ich musste mich erst überzeugen lassen.“<ref>Zeitzeugengespräch mit Klaus Cardocus am 26. Januar 2024.</ref> Das klappt: Klaus Cardocus kann an sich selbst beobachten, wie die Maßnahmen wirken. Er merkt in seinem Arbeitsalltag, dass er das Gelernte anwendet. Texte, die ihm vorgelegt werden, liest er jetzt mit einem anderen Blick. Wo nicht gegendert wird, macht er Anmerkungen und Korrekturen.<ref>Ebd.</ref> | |||
==Der Verband bleibt dran== | |||
Im Paritätischen in Bayern wurde durch die Initiative von Andrea Müller-Stoy und der Gleichstellungsanalyse eine Entwicklung angestoßen, die andauern soll. Der Verband nimmt dazu das Konzept des sogenannten Gender Mainstreamings in den Blick. Das ist 1995 bei der Weltfrauenkonferenz in Peking entstanden. Es ist eine Strategie, die zu mehr Geschlechtergerechtigkeit führen soll, in dem die ins Bewusstsein der Menschen gerückt wird. Alle sollen das „Gender“, das sozial konstruierte Geschlecht, und seine Folgen bei ihren Entscheidungen bedenken.<ref>Vgl. 30 Jahre Gleichstellungsstelle, S. 7.</ref> 2005 veröffentlicht der Paritätische in Bayern seine „Eckpunkte einer gender-orientierten Personalentwicklung“. Sie sind das Ergebnis eines weiteren zweijährigen Projekts, bei dem Führungskräfte des Verbands für Geschlechtergerechtigkeit sensibilisiert wurden.<ref>Vgl. PARITÄTISCHER Wohlfahrtsverband Landesverband Bayern e.V. (Hg.): Eckpunkte einer gender-orientierten Personalentwicklung im PARITÄTISCHEN Bayern, München 2005.</ref> | |||
Die Rechtsanwältin Christa Weigl-Schneider ist ab 2005 Mitglied im Verbandsrat des Paritätischen in Bayern. Der ist durch die Umstrukturierung des Verbands entstanden, die gerade im Gange ist. „Was ich sehr geschätzt habe, war, dass wirklich Gender Mainstreaming ein handlungsleitendes Prinzip war, also Vorstände geschlechterparitätisch besetzt, Umsetzung von Gleichberechtigung in der Form, dass man gefragt hat, [...] sind wir wirklich lohngerecht“, wird sie sich später erinnern. „Wir haben dann festgestellt, nein, bei uns werden die akademisch ausgebildeten Frauen schlechter bezahlt. Das sind dann so Stellen, wo ich wirklich ansetzen und verbessern kann. Und dann ist innerhalb von ein paar Jahren der Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen im Landesverband krass gesunken. Das ist doch wahnsinnig positiv, wenn man das erlebt.“<ref>Zeitzeuginnengespräch mit Christa Weigl-Schneider am 22. März 2024.</ref> Der Paritätische in Bayern arbeitet immer weiter daran, den Verband geschlechtergerechter zu machen. Christa Weigl-Schneider erlebt aber auch, dass das nicht bei allen gut ankommt: | |||
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2010 wird Margit Berndl als erste Frau Vorstand für Verbands- und Sozialpolitik des Paritätischen in Bayern. Ein Jahr später übernimmt Christa Weigl-Schneider den Vorsitz des Verbandsrats. Margit Berndl und Christa Weigl-Schneider treten häufig zusammen auf. Als Frauengespann sind sie unter den Führungspersönlichkeiten der freien Wohlfahrtspflege in Bayern etwas Besonderes. Manchmal bekommen sie deshalb unpassende Sprüche zu hören.<ref>Zeitzeuginnengespräch mit Christa Weigl-Schneider am 22. März 2024.</ref> Das zeigt: Das Bemühen um Gleichstellung von Frauen und Männern in den eigenen Strukturen ist keine Selbstverständlichkeit. Der Paritätische in Bayern ist bald nicht zuletzt für die starken Frauen an seiner Spitze bekannt.<ref>Vgl. bspw. Zeitzeugengespräch mit Wilfried Mück am 21. März 2024.</ref> Von einem Bayern „männergeführten Frauenbetrieb“ kann keine Rede mehr sein. | |||
==Quellen und Literatur== | |||
'''Quellen:''' | |||
*o. A.: Geringfügig beschäftigt = altersarm? In: nachrichten Parität (1994) Heft 5/6, S. 62. | |||
*PARITÄTISCHER Wohlfahrtsverband Landesverband Bayern e.V. (Hg.): Eckpunkte einer gender-orientierten Personalentwicklung im PARITÄTISCHEN Bayern, München 2005. | |||
*Schröttle, Monika: Konzept zur Gleichstellung von Frauen und Männern im Paritätischen in Bayern. Analyse und Maßnahmenkatalog, München 1994. | |||
*Zeitzeugengespräch mit Klaus Cardocus am 26. Januar 2024. | |||
*Zeitzeuginnengespräch mit Gabriele Krommer am 29. Januar 2024. | |||
*Zeitzeugengespräch mit Wilfried Mück am 21. März 2024. | |||
*Zeitzeuginnengespräch mit Andrea Müller-Stoy am 20. März 2024. | |||
*Zeitzeuginnengespräch mit Christa Weigl-Schneider am 22. März 2024. | |||
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'''Literatur:''' | |||
*Gleichstellungsstelle für Frauen der Landeshauptstadt München (Hg.): 30 Jahre Gleichstellungsstelle der Stadt München, München 2015. | |||
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==Einzelnachweise== |
Version vom 7. Juni 2024, 08:11 Uhr
Der Paritätische in Bayern ist immer auch ein Verband sozial engagierter Frauen gewesen. Mit der Zeit wurden die aber in die zweite Reihe gedrängt. In den 1980er Jahren beginnt der Verband, sich mit dem Thema Gleichstellung zu beschäftigen – und kann erfolgreich etwas ändern.
Männer geben den Ton an
Der Paritätische in Bayern ist von Anfang an ein Verband, in dem Frauen eine wichtige Rolle spielen. Bei seiner Gründung den 1920er Jahren und dem Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg leisten vor allem Frauen entscheidende Arbeit. Aber: Nach Luise Kiesselbach gibt es jahrzehntelang keine Frau mehr an der Spitze des Verbands. Die Frauen stehen in der zweiten Reihe, sind Stellvertreterinnen und nicht selten diejenigen, die besonders engagierte Arbeit leisten. Ein Beispiel dafür ist Anna Heim-Pohlmann. Nach außen und innen wird der Paritätische in Bayern über viele Jahrzehnte von einer männlichen Führungsperson dominiert: Erst ist es der Geschäftsführer Bernhard Uffrecht, dann der Vorsitzende Alexander Eberth.
Innerhalb des Verbands ist das Ungleichgewicht kein Geheimnis. Den Mitarbeitenden ist klar, dass auf den Führungspositionen Männer das Sagen haben und Frauen erst in der zweiten Reihe auftauchen. Trotzdem: Diskutiert wird darüber nicht.[1] Dabei unterstützt der Verband die Neue Frauenbewegung sehr – und ist dafür auch bekannt.[2] Die eigenen Strukturen werden trotzdem nicht hinterfragt. Das liegt vielleicht daran, dass für viele so ein Ungleichgewicht zwischen Männern und Frauen nichts Ungewöhnliches ist. Auch in der Münchner Stadtverwaltung gibt es dieses Problem. 1985 wird deshalb eine Gleichstellungsstelle eingerichtet. Dafür haben Aktivistinnen der Frauenbewegung und einige Stadträtinnen lange gekämpft. Jetzt arbeiten in der Gleichstellungsstelle drei Frauen daran, München geschlechtergerechter zu gestalten – auch außerhalb der Stadtverwaltung.[3]
Bestandsaufnahme
Auch im Paritätischen in Bayern tut sich etwas: Seit 1980 hat der Verband eine eigene Referentin für Frauen und Familie, Andrea Müller-Stoy. Die wird sich später erinnern: „Mir war damals aufgefallen, dass alle Leitungsfunktionen in der freien Wohlfahrtspflege von Männern besetzt waren, und das brachte mich auf die Idee, da näher hinzuschauen. [...] Ich habe daraufhin zur Gleichstellungsstelle auf Landesebene, Frau Marino, Kontakt aufgenommen. Sie war von der Idee sehr angetan und ich glaube, sie hat durch irgendeinen Topf auch die Förderung übernommen – denn das kostete ja Geld.“[4] Das, was da Geld kostet, ist eine systematische Untersuchung der Geschlechterverhältnisse im Paritätischen in Bayern. Eigentlich hatte Andrea Müller-Stoy die Idee, gleich die gesamte freie Wohlfahrtspflege in Bayern unter die Lupe nehmen zu lassen. Aber die anderen Wohlfahrtsverbände wollen nicht mitmachen. Innerhalb des Paritätischen in Bayern hat sie Unterstützung.[5]
Die Frauenprojekte im Paritätischen sind deutschlandweit vernetzt – im Arbeitskreis Frauenprojekte. So kommt es, dass das Thema Gleichstellung jetzt auch auf Bundesebene diskutiert wird. Im Sommer 1991 beschließt der Paritätische Gesamtverband: Die bayerische Studie soll ein Pilotprojekt sein. An den Ergebnissen wollen sich auch der Gesamtverband und die anderen Landesverbände orientieren. So wird der Paritätische in Bayern zum Vorbild, wenn es um die Gleichstellung von Frauen und Männern in den eigenen Strukturen geht. Der einzige andere Landesverband, der sich bisher mit dem Thema beschäftigt hat, ist der Paritätische in Niedersachsen.[6]
Ein erster Schritt
Die Untersuchung des Paritätischen in Bayern wird von der Politologin Monika Schröttle geleitet. Die veröffentlicht ihre Ergebnisse im Juli 1994. Die Broschüre berichtet nicht nur vom aktuellen Stand der Gleichstellung im Verband. Sie enthält auch ein ausführliches „Konzept zur Gleichstellung von Frauen und Männern im Paritätischen in Bayern“. Mit dem soll die Lage von Frauen im Verband verbessert werden. Die Studie hat nämlich gezeigt: Der Paritätische in Bayern hat einen Frauenanteil von 82 % unter seinen Mitarbeitenden. Die Spitzenverdiener sind ausschließlich Männer. Die Geringverdienenden sind dagegen zu 84 % Frauen. Auch die Ehrenamtlichen, die direkt für den Verband arbeiten, aber nicht dafür bezahlt werden, sind vor allem Frauen. Männer dominieren in den politisch-administrativen Ehrenämtern – auch hier gibt es also ein Machtgefälle. Jetzt steht fest: Es gibt Handlungsbedarf. Der Paritätische Gesamtverband veröffentlicht die Ergebnisse der Untersuchung in seinem Verbandsmagazin.[7] Hier macht er Gleichstellung sogar zum Monatsthema.
Und tatsächlich: Im Paritätischen in Bayern werden jetzt Maßnahmen angestoßen, die die Stellung von Frauen im Verband verbessern sollen – im Großen wie im Kleinen. Klaus Cardocus leitet in den 1990er Jahren die Personalverwaltung des Paritätischen in Bayern. Er wird sich später erinnern: „Der Paritätische hat sich sehr früh mit gendern befasst, Schulungen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gemacht. War für mich damals auch neu, Gender Mainstreaming, Gleichstellungsbeauftragte und so. [...] Im Nachhinein sehe ich das positiv, obwohl ich anfangs nichts damit anfangen konnte. Ich hatte überhaupt keine Ahnung, was überhaupt gemeint ist. Ich musste mich erst überzeugen lassen.“[8] Das klappt: Klaus Cardocus kann an sich selbst beobachten, wie die Maßnahmen wirken. Er merkt in seinem Arbeitsalltag, dass er das Gelernte anwendet. Texte, die ihm vorgelegt werden, liest er jetzt mit einem anderen Blick. Wo nicht gegendert wird, macht er Anmerkungen und Korrekturen.[9]
Der Verband bleibt dran
Im Paritätischen in Bayern wurde durch die Initiative von Andrea Müller-Stoy und der Gleichstellungsanalyse eine Entwicklung angestoßen, die andauern soll. Der Verband nimmt dazu das Konzept des sogenannten Gender Mainstreamings in den Blick. Das ist 1995 bei der Weltfrauenkonferenz in Peking entstanden. Es ist eine Strategie, die zu mehr Geschlechtergerechtigkeit führen soll, in dem die ins Bewusstsein der Menschen gerückt wird. Alle sollen das „Gender“, das sozial konstruierte Geschlecht, und seine Folgen bei ihren Entscheidungen bedenken.[10] 2005 veröffentlicht der Paritätische in Bayern seine „Eckpunkte einer gender-orientierten Personalentwicklung“. Sie sind das Ergebnis eines weiteren zweijährigen Projekts, bei dem Führungskräfte des Verbands für Geschlechtergerechtigkeit sensibilisiert wurden.[11]
Die Rechtsanwältin Christa Weigl-Schneider ist ab 2005 Mitglied im Verbandsrat des Paritätischen in Bayern. Der ist durch die Umstrukturierung des Verbands entstanden, die gerade im Gange ist. „Was ich sehr geschätzt habe, war, dass wirklich Gender Mainstreaming ein handlungsleitendes Prinzip war, also Vorstände geschlechterparitätisch besetzt, Umsetzung von Gleichberechtigung in der Form, dass man gefragt hat, [...] sind wir wirklich lohngerecht“, wird sie sich später erinnern. „Wir haben dann festgestellt, nein, bei uns werden die akademisch ausgebildeten Frauen schlechter bezahlt. Das sind dann so Stellen, wo ich wirklich ansetzen und verbessern kann. Und dann ist innerhalb von ein paar Jahren der Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen im Landesverband krass gesunken. Das ist doch wahnsinnig positiv, wenn man das erlebt.“[12] Der Paritätische in Bayern arbeitet immer weiter daran, den Verband geschlechtergerechter zu machen. Christa Weigl-Schneider erlebt aber auch, dass das nicht bei allen gut ankommt:
2010 wird Margit Berndl als erste Frau Vorstand für Verbands- und Sozialpolitik des Paritätischen in Bayern. Ein Jahr später übernimmt Christa Weigl-Schneider den Vorsitz des Verbandsrats. Margit Berndl und Christa Weigl-Schneider treten häufig zusammen auf. Als Frauengespann sind sie unter den Führungspersönlichkeiten der freien Wohlfahrtspflege in Bayern etwas Besonderes. Manchmal bekommen sie deshalb unpassende Sprüche zu hören.[13] Das zeigt: Das Bemühen um Gleichstellung von Frauen und Männern in den eigenen Strukturen ist keine Selbstverständlichkeit. Der Paritätische in Bayern ist bald nicht zuletzt für die starken Frauen an seiner Spitze bekannt.[14] Von einem Bayern „männergeführten Frauenbetrieb“ kann keine Rede mehr sein.
Quellen und Literatur
Quellen:
- o. A.: Geringfügig beschäftigt = altersarm? In: nachrichten Parität (1994) Heft 5/6, S. 62.
- PARITÄTISCHER Wohlfahrtsverband Landesverband Bayern e.V. (Hg.): Eckpunkte einer gender-orientierten Personalentwicklung im PARITÄTISCHEN Bayern, München 2005.
- Schröttle, Monika: Konzept zur Gleichstellung von Frauen und Männern im Paritätischen in Bayern. Analyse und Maßnahmenkatalog, München 1994.
- Zeitzeugengespräch mit Klaus Cardocus am 26. Januar 2024.
- Zeitzeuginnengespräch mit Gabriele Krommer am 29. Januar 2024.
- Zeitzeugengespräch mit Wilfried Mück am 21. März 2024.
- Zeitzeuginnengespräch mit Andrea Müller-Stoy am 20. März 2024.
- Zeitzeuginnengespräch mit Christa Weigl-Schneider am 22. März 2024.
Literatur:
- Gleichstellungsstelle für Frauen der Landeshauptstadt München (Hg.): 30 Jahre Gleichstellungsstelle der Stadt München, München 2015.
Einzelnachweise
- ↑ Zeitzeuginnengespräch mit Gabriele Krommer am 29. Januar 2024.
- ↑ Zeitzeugengespräch mit Wilfried Mück am 21. März 2024.
- ↑ Vgl. Gleichstellungsstelle für Frauen der Landeshauptstadt München (Hg.): 30 Jahre Gleichstellungsstelle der Stadt München, München 2015, S. 6 f.
- ↑ Zeitzeuginnengespräch mit Andrea Müller-Stoy am 20. März 2024.
- ↑ Ebd.
- ↑ Vgl. Schröttle, Monika: Konzept zur Gleichstellung von Frauen und Männern im Paritätischen in Bayern. Analyse und Maßnahmenkatalog, München 1994, S. 9.
- ↑ Vgl. o. A.: Geringfügig beschäftigt = altersarm? In: nachrichten Parität (1994) Heft 5/6, S. 62.
- ↑ Zeitzeugengespräch mit Klaus Cardocus am 26. Januar 2024.
- ↑ Ebd.
- ↑ Vgl. 30 Jahre Gleichstellungsstelle, S. 7.
- ↑ Vgl. PARITÄTISCHER Wohlfahrtsverband Landesverband Bayern e.V. (Hg.): Eckpunkte einer gender-orientierten Personalentwicklung im PARITÄTISCHEN Bayern, München 2005.
- ↑ Zeitzeuginnengespräch mit Christa Weigl-Schneider am 22. März 2024.
- ↑ Zeitzeuginnengespräch mit Christa Weigl-Schneider am 22. März 2024.
- ↑ Vgl. bspw. Zeitzeugengespräch mit Wilfried Mück am 21. März 2024.
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