„Vom frauenbewegten Sozialverband zum männergeführten Frauenbetrieb“? Die Debatte um Gleichstellung im Paritätischen in Bayern

Aus Geschichts-Wiki

Der Paritätische in Bayern ist von Beginn an auch ein Verband sozial engagierter Frauen. Lange Zeit arbeiten diese in der „zweiten Reihe“. In den 1980er Jahren beginnt der Verband, sich mit dem Thema Gleichstellung auch verbandsintern zu beschäftigen – und kann erfolgreich etwas ändern.

Männer geben den Ton an

Der Kampf um Gleichstellung ist nicht leicht. Die Mitarbeiterinnen der Gleichstellungsstelle für Frauen der Landeshauptstadt München werden das zum 10-jährigen Jubiläum mit Humor nehmen.

Der Paritätische in Bayern ist von Anfang an ein Verband, in dem Frauen eine wichtige Rolle spielen. Bei seiner Gründung in den 1920er Jahren und dem Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg leisten vor allem Frauen entscheidende Arbeit. Aber: Nach Luise Kiesselbach gibt es jahrzehntelang keine Frau mehr an der Spitze des Verbands. Die Frauen stehen in der zweiten Reihe, sind Stellvertreterinnen und nicht selten diejenigen, die besonders engagierte Arbeit leisten. Ein Beispiel dafür ist Anna Heim-Pohlmann. Nach außen und innen wird der Paritätische in Bayern über viele Jahrzehnte von einer männlichen Führungsperson repräsentiert und dominiert: Erst ist es der Geschäftsführer Bernhard Uffrecht, dann der Vorsitzende Alexander Eberth.

Vielen Mitarbeitenden ist bewusst, dass auf den Führungspositionen Männer das Sagen haben und Frauen erst in der zweiten Reihe auftauchen. Trotzdem dauert es lange, bis darüber offen diskutiert wird.[1] Dabei unterstützt der Verband die Neue Frauenbewegung sehr – und ist dafür auch bekannt.[2] Die eigenen Strukturen werden aber trotzdem nicht grundsätzlich hinterfragt. Das liegt sicher auch daran, dass ein Ungleichgewicht zwischen Männern und Frauen in vielen gesellschaftlichen Strukturen nichts Ungewöhnliches ist. Auch in der Münchner Stadtverwaltung gibt es dieses Problem. 1985 wird deshalb eine Gleichstellungsstelle eingerichtet. Hier arbeiten nun drei Frauen daran, München geschlechtergerechter zu gestalten – auch außerhalb der Stadtverwaltung.[3]

Bestandsaufnahme

Auch im Paritätischen in Bayern tut sich etwas: Seit Oktober 1983 hat der Verband eine eigene Referentin für Frauen und Familie, Andrea Müller-Stoy. Die wird sich später erinnern: „Mir war damals aufgefallen, dass alle Leitungsfunktionen in der Freien Wohlfahrtspflege von Männern besetzt waren, und das brachte mich auf die Idee, da näher hinzuschauen. [...] Ich habe daraufhin zur Leitstelle für die Gleichstellung von Frauen und Männern im Bayerischen Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Gesundheit, Frau Christine Marino, Kontakt aufgenommen. Sie war von der Idee sehr angetan, eine Untersuchung in Auftrag zu geben, und stellte die Förderung in Aussicht.“[4] – Der Vorstand des Paritätischen in Bayern stellt sich also selbstkritisch dieser frauenpolitischen Fragestellung und beautragt eine Untersuchung der Geschlechterverhältnisse im Verband durch eine externe Wissenschaftlerin. Die anderen Wohlfahrtsverbände wollen sich der Untersuchung zum damaligen Zeitpunkt nicht anschließen.[5]

Die Frauenprojekte im Paritätischen sind deutschlandweit vernetzt – im Arbeitskreis Frauenprojekte. So kommt es, dass das Thema Gleichstellung jetzt auch auf Bundesebene diskutiert wird. Im Sommer 1991 beschließt der Paritätische Gesamtverband: Die bayerische Studie soll ein Pilotprojekt sein. An den Ergebnissen wollen sich auch der Gesamtverband und die anderen Landesverbände orientieren. So wird der Paritätische in Bayern zum Vorbild, wenn es um die Gleichstellung von Frauen und Männern in den eigenen Strukturen geht. Der einzige andere Landesverband, der sich bisher mit dem Thema beschäftigt hat, ist der Paritätische in Niedersachsen.[6]

Ein erster Schritt

Als Entwicklung „vom frauenbewegten Sozialverband zum männergeführten Frauenbetrieb“ beschreibt Monika Schröttle die Geschichte des Paritätischen in Bayern im bundesweiten Verbandsmagazin.

Die Untersuchung des Paritätischen in Bayern wird von der Politologin Monika Schröttle durchgeführt. Sie zeigt: Der Paritätische in Bayern hat einen Frauenanteil von 82 % unter seinen Mitarbeitenden. Die Spitzenverdiener sind ausschließlich Männer. Die Geringverdienenden sind dagegen zu 84 % Frauen. Auch die Ehrenamtlichen, die direkt für den Verband arbeiten, aber nicht dafür bezahlt werden, sind vor allem Frauen. Männer dominieren in den politisch-administrativen Ehrenämtern – auch hier gibt es also ein Machtgefälle.[7] Es gibt Handlungsbedarf.

Im Paritätischen in Bayern werden jetzt Maßnahmen angestoßen, die die Stellung von Frauen im Verband verbessern sollen – im Großen wie im Kleinen. Klaus Cardocus leitet in den 1990er Jahren die Personalverwaltung des Paritätischen in Bayern. Er wird sich später erinnern: „Der Paritätische hat sich sehr früh mit gendern befasst, Schulungen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gemacht. War für mich damals auch neu, Gender Mainstreaming, Gleichstellungsbeauftragte und so. [...] Im Nachhinein sehe ich das positiv, obwohl ich anfangs nichts damit anfangen konnte. Ich hatte überhaupt keine Ahnung, was überhaupt gemeint ist. Ich musste mich erst überzeugen lassen.“[8] Das klappt: Klaus Cardocus kann an sich selbst beobachten, wie die Maßnahmen wirken. Er merkt in seinem Arbeitsalltag, dass er das Gelernte anwendet. Texte, die ihm vorgelegt werden, liest er jetzt mit einem anderen Blick. Wo keine geschlechtergerechte Sprache verwendet wird, macht er Anmerkungen und Korrekturen.[9]

Im Juli 1993 beschließt der Vorstand des Paritätischen in Bayern konkrete Maßnahmen, mit denen die Gleichstellung von Frauen und Männern im Verband verbessert werden sollen. Zum Beispiel: Eine hauptamtliche Frauenbeauftrage, eine jährliche Frauenversammlung und eine interne Frauenquote werden eingeführt. Die Quote soll bei Neueinstellungen, Beförderungen und Kündigungen beachtet werden.[10] 1994 veröffentlicht der Paritätische in Bayern die Maßnahmen zusammen mit den Ergebnissen von Monika Schröttle als „Konzept zur Gleichstellung von Frauen und Männern im Paritätischen in Bayern – Analyse und Maßnahmenkatalog“. Der Paritätische Gesamtverband veröffentlicht die Ergebnisse der Untersuchung in seinem Verbandsmagazin.[11] Hier macht er Gleichstellung sogar zum Monatsthema.

Der Verband bleibt dran

Im Paritätischen in Bayern wurde durch die Initiative von Andrea Müller-Stoy und der Gleichstellungsanalyse eine Entwicklung angestoßen, die andauern soll. Der Verband nimmt dazu das Konzept des sogenannten Gender Mainstreamings in den Blick. Das ist 1995 bei der Weltfrauenkonferenz in Peking entstanden. Es ist eine Strategie, die zu mehr Geschlechtergerechtigkeit in allen gesellschaftlichen Bereichen führen soll, in dem dieses Anliegen ins Bewusstsein der Menschen gerückt und zum handlungsleitenden Prinzip wird. Alle sollen das „Gender“, das sozial konstruierte Geschlecht, und seine Folgen bei ihren Entscheidungen bedenken.[12] 2005 veröffentlicht der Paritätische in Bayern seine „Eckpunkte einer gender-orientierten Personalentwicklung“. Sie sind das Ergebnis eines weiteren zweijährigen Projekts, bei dem Führungskräfte des Verbands für Geschlechtergerechtigkeit sensibilisiert wurden.[13]

Die Rechtsanwältin Christa Weigl-Schneider ist ab 2005 Mitglied im Verbandsrat des Paritätischen in Bayern. Auch der Verbandsrat ist durch die Umstrukturierung entstanden, die gerade im Verband im Gange ist. „Was ich sehr geschätzt habe, war, dass wirklich Gender Mainstreaming ein handlungsleitendes Prinzip war. Also: Vorstände geschlechterparitätisch besetzt, Umsetzung von Gleichberechtigung in der Form, dass man gefragt hat, [...] sind wir wirklich lohngerecht“, wird sie sich später erinnern. „Wir haben dann festgestellt, nein, bei uns werden die akademisch ausgebildeten Frauen schlechter bezahlt. Das sind dann so Stellen, wo ich wirklich ansetzen und verbessern kann. Und dann ist innerhalb von ein paar Jahren der Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen im Landesverband krass gesunken. Das ist doch wahnsinnig positiv, wenn man das erlebt.“[14] Der Paritätische in Bayern arbeitet immer weiter daran, den Verband geschlechtergerechter zu machen. Christa Weigl-Schneider erlebt aber auch, dass das nicht bei allen gut ankommt:


In einem Interview erinnert sich Christa Weigl-Schneider 2023 rückblickend an eine Anekdote aus dem Ausschuss Chancengleichheit des Paritätischen in Bayern.



2010 wird das Prinzip des Gender Mainstreamings als handlungsleitendes Prinzip in die Satzung des Paritätischen in Bayern aufgenommen. Von jetzt an müssen Vorstand und Verbandsrat geschlechterparitätisch besetzt sein. Im gleichen Jahr wird Margit Berndl als erste Frau hauptamtlicher Vorstand für Verbands- und Sozialpolitik des Paritätischen in Bayern. Ein Jahr später übernimmt Christa Weigl-Schneider den Vorsitz des ehrenamtlichen Verbandsrats als Aufsichts- und Beratungsgremium. Margit Berndl und Christa Weigl-Schneider treten häufig zusammen auf. Als Frauengespann sind sie unter den Führungspersönlichkeiten der Freien Wohlfahrtspflege in Bayern etwas Besonderes. Manchmal bekommen sie deshalb unpassende Bemerkungen zu hören.[15] Das zeigt: Gleichstellung von Frauen und Männern auf der Führungsebene ist immer noch keine Selbstverständlichkeit. Der Paritätische in Bayern ist bald nicht zuletzt für diese Strukturen und seine beiden Führungspersönlichkeiten bekannt.[16] Von einem „männergeführten Frauenbetrieb“ kann keine Rede mehr sein.

Quellen und Literatur

Quellen:

  • o. A.: Geringfügig beschäftigt = altersarm? In: nachrichten Parität (1994) Heft 5/6, S. 62.
  • PARITÄTISCHER Wohlfahrtsverband Landesverband Bayern e.V. (Hg.): Eckpunkte einer gender-orientierten Personalentwicklung im PARITÄTISCHEN Bayern, München 2005.
  • Schröttle, Monika: Konzept zur Gleichstellung von Frauen und Männern im Paritätischen in Bayern. Analyse und Maßnahmenkatalog, München 1994.
  • Zeitzeugengespräch mit Klaus Cardocus am 26. Januar 2024.
  • Zeitzeuginnengespräch mit Gabriele Krommer am 29. Januar 2024.
  • Zeitzeugengespräch mit Wilfried Mück am 21. März 2024.
  • Zeitzeuginnengespräch mit Andrea Müller-Stoy am 20. März 2024.
  • Zeitzeuginnengespräch mit Christa Weigl-Schneider am 22. März 2024.

Literatur:

  • Gleichstellungsstelle für Frauen der Landeshauptstadt München (Hg.): 30 Jahre Gleichstellungsstelle der Stadt München, München 2015.

Einzelnachweise

  1. Zeitzeuginnengespräch mit Gabriele Krommer am 29. Januar 2024.
  2. Zeitzeugengespräch mit Wilfried Mück am 21. März 2024.
  3. Vgl. Gleichstellungsstelle für Frauen der Landeshauptstadt München (Hg.): 30 Jahre Gleichstellungsstelle der Stadt München, München 2015, S. 6 f.
  4. Zeitzeuginnengespräch mit Andrea Müller-Stoy am 20. März 2024.
  5. Vgl. ebd.
  6. Vgl. Schröttle, Monika: Konzept zur Gleichstellung von Frauen und Männern im Paritätischen in Bayern. Analyse und Maßnahmenkatalog, München 1994, S. 9.
  7. Vgl. o. A.: Geringfügig beschäftigt = altersarm? In: nachrichten Parität (1994) Heft 5/6, S. 62.
  8. Zeitzeugengespräch mit Klaus Cardocus am 26. Januar 2024.
  9. Ebd.
  10. Vgl. Schröttle: Konzept zur Gleichstellung, S. 4 sowie S. 53-73.
  11. Vgl. o. A.: Geringfügig beschäftigt = altersarm?
  12. Vgl. 30 Jahre Gleichstellungsstelle, S. 7.
  13. Vgl. PARITÄTISCHER Wohlfahrtsverband Landesverband Bayern e.V. (Hg.): Eckpunkte einer gender-orientierten Personalentwicklung im PARITÄTISCHEN Bayern, München 2005.
  14. Zeitzeuginnengespräch mit Christa Weigl-Schneider am 22. März 2024.
  15. Ebd.
  16. Vgl. bspw. Zeitzeugengespräch mit Wilfried Mück am 21. März 2024.

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