Ein neuer Schwerpunkt: Gemeinsam gegen die Klimakrise
Für den Paritätischen in Bayern sind die Themen Umwelt und Klima heute klar mit dem Sozialen verbunden. Das war nicht immer so. Als die Klimaschutzbewegung ab 2019 an Fahrt aufnimmt, entsteht mit der Forderung nach einer sozialökologischen Transformation ein neuer Schwerpunkt für den Verband.
Umwelt- und Naturschutz als eigenständiges Thema
1970 wird Bayern zum Vorreiter des Umweltschutzes: Mit dem Bayerischen Staatsministerium für Landesentwicklung und Umweltfragen entsteht hier das erste Umweltministerium Europas. Nirgendwo sonst gibt es zu dieser Zeit so eine Institution.[1] Es ist eine Zeit gesellschaftlicher Veränderung. Viele Menschen gehen auf die Straße, engagieren sich. Das betrifft auch den Paritätischen in Bayern. Phänomene wie die neue Selbsthilfebewegung verändern den Verband. Was ihn nicht betrifft, ist die Umweltbewegung, die jetzt ebenfalls entsteht.
Dabei gibt es Überschneidungen: Die Neue Frauenbewegung ist eng mit der Umweltbewegung verknüpft.[2] Frauen, die sich selbst als Ökofeministinnen verstehen, gibt es auch in den Mitgliedsorganisationen des Paritätischen in Bayern. Ein Beispiel dafür ist die Psychologin Polina Hilsenbeck. Das Projekt Retex - Werkstatt für textiles Recycling bietet Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen ab 1987 eine Arbeitsmöglichkeit: „Die in Regensburg ansässige Firma stellt in einer Weberei Woll- und Fleckerlteppiche nach Kundenwünschen her. In einer Näherei wird unter eigenem Namen Kinder- und Puppenkleidung hergestellt. Daneben werden Lohnaufträge für die Industrie ausgeführt.“[3] Dabei werden in der Anfangszeit Stoffreste und -abfälle als Material verwendet. Es wird also – ganz dem Namen entsprechend – Recycling betrieben. Die alten Stoffe werden zu etwas Neuem verarbeitet und so weiter genutzt. Aber: Um Kleidung zu produzieren, die möglichst hochwertig ist und aktuellen Modetrends entspricht, wird schon nach kurzer Zeit kein Recycling-Material mehr für die Produktion von Kleidung bei Retex verwendet. Der Hintergrund: Der Schwerpunkt des Projekts liegt nicht auf der Nachhaltigkeit, sondern auf der Schaffung von Arbeitsplätzen für Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen.[4]
Die meisten Mitgliedsorganisationen des Paritätischen in Bayern scheinen sich lange nicht aktiv mit dem Thema Umweltschutz zu beschäftigen. Anders sieht es bei den Kindergärten aus. Ende der 1980er Jahre sind einige von ihnen im Bereich „Umwelterziehung“ tätig: Sie „beteiligen sich an der Vermittlung von ‚bewusstem Umweltverhalten‘ von Kindern und Eltern. Auf Fortbildungstreffen berichten Erzieher von ihrer Beteiligung an Umweltaktionen und -demonstrationen, von Versuchen, im Alltag zusammen mit den Kindern um den Schutz und die Pflege von Boden, Luft, Wasser, Pflanzen und Tieren besorgt zu sein. Sie sensibilisieren die Kinder für ein achtsames Verhalten bei Spiel und Freizeit und versuchen über die Öffnung des Kindergartens Einfluss zu nehmen auf die ganze Familie.“[5] So beschreibt die Fachreferentin für Kinderhilfe des Paritätischen in Bayern, zu deren Arbeitsbereich auch Kindergärten und andere Betreuungsangebote gehören, damals diesen neuen Ansatz.
Ein neuer Schwerpunkt: Die sozialökologische Transformation
In den 2010er Jahren gibt es ein Umdenken im Paritätischen in Bayern. Der Auslöser: Die Dringlichkeit, den menschengemachten Klimawandel aktiv zu bekämpfen, ist im Bewusstsein der Menschen in Deutschland angekommen. Auf der UN-Klimakonferenz in Paris verständigen sich im Dezember 2015 197 Staaten auf ein gemeinsames Klimaschutzabkommen. Das Abkommen von Paris enthält zwar klare Ziele, es ist aber nicht rechtlich bindend. Die Umsetzung bleibt den einzelnen Staaten überlassen. Das löst eine internationale Protestbewegung aus. Die wöchentlichen „Fridays for Future“-Proteste finden bald auch in Bayern statt. In Nürnberg kommen am 24. Januar 2019 zum Beispiel 400 junge Menschen vor dem Rathaus zusammen, um für Klimaschutz zu demonstrieren. Ihr Motto: „Wir sind viele, wir sind laut, weil man uns die Zukunft klaut“.[6] Das Grundsatzpapier ist ein bedeutender Schritt: Der Paritätische verknüpft damit öffentlichkeits-wirksam das Ökologische mit dem Sozialen. Er fordert von jetzt an, das beides konsequent zusammen gedacht wird.
Der Paritätische unterstützt die Ziele der neuen Klimaschutzbewegung – nicht nur in Bayern, sondern deutschlandweit. Der Paritätische Gesamtverband veröffentlicht am 1. Oktober 2019 ein Grundsatzpapier. Darin wird erklärt, wie sich der Verband die „sozial-ökologische Wende“ vorstellt, die er jetzt fordert: „Um den Klimawandel zu stoppen, bedarf es der Anstrengung der gesamten Gesellschaft. […] Eine effektive Klimaschutzpolitik wird notgedrungen mit spürbaren Einschränkungen und Belastungen verbunden sein und erfordert zugleich eine breite gesellschaftliche Zustimmung. Diese wird nicht zu gewinnen sein, wenn ein großer Teil der Bevölkerung ohnehin soziale Abstiegsängste hat, den eigenen Status als prekär erlebt und sich um die Zukunft sorgt. Voraussetzung für eine erfolgreiche Klimaschutzpolitik ist daher ein zuverlässiger Sozialstaat, der den Menschen soziale Sicherheit garantiert, sodass sich jede*r ein klimafreundliches Leben leisten kann. Je mehr Gleichheit eine Gesellschaft in der Verteilung von Ressourcen und Möglichkeiten aufweist, umso leichter wird ihr eine anspruchsvolle Klimapolitik fallen. Daher ist die ökologische Transformation nur als eine sozial-ökologische denkbar.“ Das Grundsatzpapier ist ein bedeutender Schritt: Der Paritätische verknüpft damit öffentlichkeitswirksam das Ökologische mit dem Sozialen. Er fordert von jetzt an ein, dass beides konsequent zusammen gedacht wird.
Konkrete Anstrengungen auch in Bayern
Im Paritätischen in Bayern wird sich jetzt an verschiedenen Stellen mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftgigt. Im Bezirksverband Mittelfranken gibt es hierzu eine eigene Arbeitsgruppe. Die entwickelt unter dem Motto „Pari goes green“ konkrete Maßnahmen, mit denen der Arbeitsalltag nach-haltiger gestaltet werden kann, zum Beispiel mit Recycling-Papier, dem Kompostieren von Biomüll oder Regionalität im Catering. Das ist nicht immer leicht: „Es braucht Mut, Dinge, die weniger nachhaltig sind, anzusprechen und Veränderungen anzustoßen, auszuprobieren und zu reflektieren. Es braucht auch Zeit. Dem Anderen Zeit zu geben, Nachhaltigkeit mitdenken zu können, sich darauf einlassen zu können und Zeit, die Veränderungen mitgehen zu können“, erklärt die Projektleiterin von „Pari goes green“, Alexandra Großer.[7] Auch die Bezirksversammlung des Paritätischen in Mittelfranken findet 2019 zu dem Thema statt. Der Paritätische in Bayern nimmt die Idee auf Landesebene auf und startet, gefördert von der Glücksspirale, ein erstes kleines Projekt zum Thema Nachhaltigkeit im Referat Bürgerschaftliches Engagement. So soll ein erster Schritt getan werden.[8]
Der Paritätische und der Klimaschutz – das gehört von nun an zusammen. Wie genau das funktioniert, muss erst einmal vermittelt werden. Auf einer Pressekonferenz im August 2021 erklärt Verbandsvorständin Margit Berndl: „Ökologische Nachhaltigkeit und Klimaschutz ist für uns als Wohlfahrtsverband nicht unsere Kernkompetenz. [...] Warum beschäftigt sich der Paritätische als Wohlfahrtsverband mit dem Thema und geht damit an die Öffentlichkeit? Zum einen, weil wir Verantwortung für klimaschonendes Handeln und Wirtschaften tragen. Weil wir selbst einen Beitrag leisten können und müssen. [...] Zum anderen, weil wir als Wohlfahrtsverband eine zentrale Funktion für den sozialen und gesellschaftlichen Zusammenhalt haben. Hier haben wir unsere Kernkompetenz.“[9] Die Pressekonferenz veranstaltet der Paritätische in Bayern gemeinsam mit dem BUND Naturschutz in Bayern e.V. Mit dem arbeitet der Paritätische in Bayern von jetzt an zusammen.
Einige Mitgliedsorganisationen des Paritätischen in Bayern arbeiten nun auch direkt mit dem Gesamtverband auf Bundesebene zusammen: Sie sind Teil des Projekts „Klimaschutz in der Sozialen Arbeit stärken“. Sie werden dabei begleitet, ihren CO2-Fußabdruck zu analysieren und Möglichkeiten des betriebsinternen Klimaschutzes zu entdecken. Zu den teilnehmenden Mitgliedsorganisationen aus Bayern gehört zum Beispiel das Blindeninstitut Würzburg.[10] Es gehört zu den ältesten Mitgliedsorganisationen des Paritätischen in Bayern. Das zeigt: Auch sehr traditionsreiche Einrichtungen sind offen für das relativ junge Thema Klimaschutz.
Im Oktober 2022 startet der Paritätische in Bayern ein eigenes Projekt unter dem Titel „Alle mitnehmen und niemanden zurücklassen - den ökologischen Wandel sozial gerecht gestalten und den Klimaschutz in der Sozialen Arbeit fördern“. Das Ziel ist, sich als Verband sozialpolitisch zum Thema Klimaschutz zu positionieren. Noch mehr Einrichtungen und Mitgliedsorganisationen sollen für den Klimaschutz sensibilisiert und vernetzt werden. Zusätzlich soll innerverbandlich eine Nachhaltigkeitsstrategie entwickelt und umgesetzt sowie Bündnisse eingegangen werden, um die sozialökologische Transformation in der öffentlichen Diskussion zu stärken. Der Klimaschutz ist zu einem Schwerpunktthema des Paritätischen in Bayern geworden.
Quellen und Literatur
Quellen:
- Archiv des Paritätischen in Bayern, Statement von Margit Berndl anlässlich der gemeinsamen Pressekonferenz des Paritätischen in Bayern mit dem BUND am 05. August 2021.
- BUND Naturschutz in Bayern e.V.: Pressemitteilung vom 24.1.2019 (https://www.bund-naturschutz.de/pressemitteilungen/fridays-for-future-1, aufgerufen 28.5.2024).
- Cramer, Hanna: Kindergärten – Mitgliedsorganisationen des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Landesverband Bayern (DPWV), in: Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus (Hg): 150 Jahre Kindergartenwesen in Bayern. Festschrift anlässlich der 150-Jahrfeier der von König Ludwig I. genehmigten „Bestimmungen, die die Einrichtung von Kinderbewahranstalten betreffen“, München 1989, S. 145—154.
- Schulz, Joachim: Berufliche Wiedereingliederung psychisch behinderter Menschen. Hilfe für psychisch Behinderte: Das Projekt Retex - Werkstatt für textiles Recycling, Regensburg, in: Bayerischer Wohlfahrtsdienst (1989) Heft 8/9, S. 90 f.
Literatur:
- Bauhardt, Christine: FrauenUmweltbewegungen, in: Digitales Deutsches Frauenarchiv (https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/themen/frauenumweltbewegungen aufgerufen 3.6.2024).
- Hasenöhr, Ute: Natur- und Umweltschutz (nach 1945), in: Historisches Lexikon Bayerns (https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Natur-_und_Umweltschutz_(nach_1945), aufgerufen 3.6.2024).
Einzelnachweise
- ↑ Vgl. Hasenöhr, Ute: Natur- und Umweltschutz (nach 1945), in: Historisches Lexikon Bayerns (https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Natur-_und_Umweltschutz_(nach_1945), aufgerufen 3.6.2024).
- ↑ Vgl. Bauhardt, Christine: FrauenUmweltbewegungen, in: Digitales Deutsches Frauenarchiv (https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/themen/frauenumweltbewegungen aufgerufen 3.6.2024).
- ↑ Schulz, Joachim: Berufliche Wiedereingliederung psychisch behinderter Menschen. Hilfe für psychisch Behinderte: Das Projekt Retex - Werkstatt für textiles Recycling, Regensburg, in: Bayerischer Wohlfahrtsdienst (1989) Heft 8/9, S. 90 f.
- ↑ Vgl. ebd.
- ↑ Cramer, Hanna: Kindergärten – Mitgliedsorganisationen des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Landesverband Bayern (DPWV), in: Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus (Hg): 150 Jahre Kindergartenwesen in Bayern. Festschrift anlässlich der 150-Jahrfeier der von König Ludwig I. genehmigten „Bestimmungen, die die Einrichtung von Kinderbewahranstalten betreffen“, München 1989, S. 150.
- ↑ BUND Naturschutz in Bayern e.V.: Pressemitteilung vom 24.1.2019 (https://www.bund-naturschutz.de/pressemitteilungen/fridays-for-future-1, aufgerufen 28.5.2024).
- ↑ Paritätischer Wohlfahrtsverband in Bayern: Jahresbericht 2019, S. 22.
- ↑ Vgl. Jahresbericht 2019, S. 23.
- ↑ Archiv des Paritätischen in Bayern, Statement von Margit Berndl anlässlich der gemeinsamen Pressekonferenz des Paritätischen in Bayern mit dem BUND am 05. August 2021.
- ↑ Vgl. Klimaschutz in der Sozialen Arbeit stärken, https://www.paritaet-bayern.de/themen/sozialoekologische-transformation/klimaschutz-in-der-sozialen-arbeit-staerken (aufgerufen 20.6.2024).
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