Ein besonderer Kinderarzt: Theodor Hellbrügge

Aus Geschichts-Wiki

Theodor Hellbrügge ist ein Pionier der Inklusion von Kindern mit Behinderungen. Seine neuartigen Ideen stoßen erstmal auf viel Ablehnung. Im Paritätischen in Bayern findet er Unterstützung. Seine Einrichtungen werden bald auf der ganzen Welt kopiert.

Auf den Spuren seines Vaters

Der Kinderarzt Prof. Dr. Dr. Theodor Hellbrügge.

Theodor Friedrich Hellbrügge wird am 23. Oktober 1919 in Dortmund geboren. Sein Vater ist Arzt. Als Jugendlicher begleitet Theodor Hellbrügge ihn bei Hausbesuchen. So lernt er früh die Lebenswirklichkeiten unterschiedlicher Menschen kennen.[1]

Mit 19 Jahren tritt Theodor Hellbrügge in die Fußstapfen seines Vaters: Er geht nach Münster, um Medizin zu studieren. Aber bald wird er nach München geschickt.[2] Dort soll er sein Studium fortsetzen und in einem Lazarett arbeiten. Später wird er davon berichten, wie er hier einmal 200 Amputationen in drei Tagen durchführen muss.[3]

Ein neuer Schwerpunkt: Kindermedizin

1944 schließt Theodor Hellbrügge sein Studium ab.[4] Bei seiner Prüfung zum Staatsexamen fällt er einem Kinderarzt auf.[5] Der leitet die Kinderklinik der Universität in München und bietet ihm eine Stelle als Volontär an. Der Haken: Sie ist unbezahlt.

Theodor Hellbrügge ist inzwischen Familienvater und muss in der jungen Bundesrepublik Geld verdienen. Darum berät er nebenbei für das Münchner Gesundheitsamt Mütter.[6] Dabei fallen ihm einige Kinder auf. Sie kommen aus Heimen der SS-Organisation Lebensborn. Die gibt es seit dem Ende der Herrschaft des Nationalsozialismus nicht mehr. Später wird sich Theodor Hellbrügge erinnern: Die Kinder „waren groß, blond, blauäugig und auf den ersten Blick sehr ansprechend, aber bei näherem Hinsehen waren sie in einem Zustand, der mich erschreckte. Sie sprachen mit zwei Jahren noch kein Wort, ihre Selbständigkeit reichte nicht zum eigenständigen Essen [...]. Wenn man sich ihnen näherte, schrien sie vor Angst. Untereinander nahmen sie entweder überhaupt keinen Kontakt auf oder nur in Form von Aggressionen. Das konnte nicht mit den Erbanlagen zusammenhängen, sondern musste von außen her beeinflusst worden sein.“[7] – Dieser Gedanke wird nicht nur das Leben des jungen Arztes verändern.

Die „Aktion Sonnenschein“ entsteht

Theodor Hellbrügge erforscht die Entwicklung von Säuglingen und Kleinkindern. Er will verstehen, was mit den ehemaligen Lebensborn-Kindern passiert ist. Er stellt fest, dass das Gehirn von Kindern sehr anpassungsfähig ist. Nur wenn Besonderheiten früh erkannt werden, kann ihnen begegnet werden. Theodor Hellbrügges Forschungen tragen dazu bei, dass regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen für Kinder bald zur Selbstverständlichkeit werden.[8]

Theodor Hellbrügge meint, dass Kinder in Gruppen betreut werden sollten, die verschiedene Altersstufen und Fähigkeiten zusammenbringen. So können sie sich gegenseitig unterstützen. „Nur wer hilft, wird wirklich selbstständig“, ist der Kinderarzt überzeugt.[9] Besonders begeistert ist Theodor Hellbrügge von der sogenannten Montessori-Pädagogik. Die setzt auf selbstbestimmtes Lernen. Der Kinderarzt gründet 1968 den Verein Aktion Sonnenschein — Hilfe für das mehrfachbehinderte Kind.[10] Neben Einrichtungen zur Beratung und Therapie entstehen so bald Montessori-Kindergärten und -schulen für Kinder mit und ohne Behinderungen.


Theodor Hellbrügges Forschungsstelle für Soziale Pädiatrie und seine Aktion Sonnenschein sind lange gemeinsam untergebracht. Viele Mütter kommen mit ihren Kindern hierher, um sie untersuchen und fördern zu lassen.


Ablehnung und Unterstützung

Die Idee, Kinder mit und ohne Behinderungen gemeinsam zu betreuen und zu unterrichten, stößt auf Ablehnung. Unterstützung bekommt Theodor Hellbrügge vom Paritätischen in Bayern: Der Verband präsentiert seine Mitgliedsorganisation immer wieder stolz in der Öffentlichkeit. Dass Theodor Hellbrügge Frauen nur in der Rolle der Mutter sehen möchte, spielt dabei keine Rolle.[11] Viele neue Organisationen von und für Menschen mit Behinderungen stoßen in dieser Zeit zum Verband.


Im November 1987 kommen der britische Prinz Charles und seine Ehefrau Diana zu einem Staatsbesuch nach Deutschland und verbringen zwei Tage in Bayern. In München besucht Prinzessin Diana Theodor Hellbrügges Kinderzentrum. Der Besuch wird von den Medien begleitet.



Für seine Arbeit bekommt Theodor Hellbrügge viele Preise und Ehrungen, zum Beispiel die Bayerische Staatsmedaille und das Große Bundesverdienstkreuz. Er stirbt am 21. Januar 2014 im Alter von 94 Jahren.[12]

Quellen

Quellen:

  • Theodor Hellbrügge im Gespräch mit Wolfgang Küpper, alpha-Forum im Bayerischen Rundfunk 2.8.1999, in: http://www.br-online.de/alpha/forum/vor9908/19990802.shtml (aufgerufen: 22.2.2024).
  • Hellbrügge, Theodor: Montessori-Pädagogik und Montessori-Heilpädagogik im Kindergarten, in: Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus (Hg): 150 Jahre Kindergartenwesen in Bayern. Festschrift anlässlich der 150-Jahrfeier der von König Ludwig I. genehmigten „Bestimmungen, die die Einrichtung von Kinderbewahranstalten betreffen“, München 1989, S. S. 82-93.
  • O. A.: Neuaufnahmen, in: DPWV-Nachrichten (1968) Heft 8, S. 116.

Literatur:

  • Mall, Volker: Nachruf. Zum 100. Geburtstag von Professor Hellbrügge, in: Kinderärztliche Praxis (2020) Heft 1, S. 52-55.
  • Müller, Jodok: Paracelsus-Medaille für Professor Dr. Dr. h. c. mult. Theodor Hellbrügge, in: Bayerisches Ärzteblatt (2009) Heft 6, S. 310.
  • o. A.: Theodor Hellbrügge. Pionier der Sozialpädiatrie, in: Deutsches Ärzteblatt (2009) Heft 21, S. 1057.

Einzelnachweise

  1. Vgl. Mall, Volker: Nachruf. Zum 100. Geburtstag von Professor Hellbrügge, in: Kinderärztliche Praxis (2020) Heft 1, S. 52-55.
  2. Vgl. Müller, Jodok: Paracelsus-Medaille für Professor Dr. Dr. h. c. mult. Theodor Hellbrügge, in: Bayerisches Ärzteblatt (2009) Heft 6, S. 310.
  3. Vgl. Mall: Nachruf.
  4. Vgl. o. A.: Theodor Hellbrügge. Pionier der Sozialpädiatrie, in: Deutsches Ärzteblatt (2009) Heft 21, S. 1057.
  5. Vgl. Mall: Nachruf.
  6. Vgl. o. A.: Theodor Hellbrügge.
  7. Theodor Hellbrügge im Gespräch mit Wolfgang Küpper, alpha-Forum im Bayerischen Rundfunk 2.8.1999, in: http://www.br-online.de/alpha/forum/vor9908/19990802.shtml (aufgerufen: 22.2.2024).
  8. Vgl. o. A.: Theodor Hellbrügge. Pionier der Sozialpädiatrie.
  9. Hellbrügge, Theodor: Montessori-Pädagogik und Montessori-Heilpädagogik im Kindergarten, in: Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus (Hg): 150 Jahre Kindergartenwesen in Bayern. Festschrift anlässlich der 150-Jahrfeier der von König Ludwig I. genehmigten „Bestimmungen, die die Einrichtung von Kinderbewahranstalten betreffen“, München 1989, S. 85.
  10. O. A.: Neuaufnahmen, in: DPWV-Nachrichten (1968) Heft 8, S. 116.
  11. Vgl. zu Theodor Hellbrügges problematischem Rollenverständnis bspw. das Gespräch mit Wolfgang Küpper.
  12. Vgl. Mall: Nachruf.

Debug data: