Die Gründerin der Münchner Mütterschule: Lotte Geppert

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Wenn es nach ihrer Familie gegangen wäre, hätte Lotte Geppert nie einen Beruf gelernt. Doch die ambitionierte junge Frau kann sich durchsetzen. Im Lauf ihrer Karriere begründet sie pädagogische Einrichtungen, die vielen Familien das Leben erleichtern – vor und nach dem Zweiten Weltkrieg.

Das Jugendheim

Charlotte Geppert, genannt Lotte, kommt am 21. Juni 1883 in Berlin zur Welt. Ihr Vater ist Professor. Ihre Mutter kümmert sich um benachteiligte Kinder von Berliner Arbeiter*innen. Lotte Geppert selbst würde gerne Lehrerin werden, aber ihre Eltern erlauben das nicht.[1]

Dann trifft Lotte Geppert Anna von Gierke. Die wird später den Paritätischen Wohlfahrtsverband mitbegründen. Anna von Gierke leitet den Verein Jugendheim, der Schulkinder in einem Hort betreut. Das ist zu dieser Zeit ein neues Konzept.[2] Anna von Gierke möchte Lotte Geppert als Erzieherin gewinnen. Die willigt ein. Ab 1903 arbeitet sie im Jugendheim.[3]


Damit Lotte Geppert im Jugendheim arbeiten kann, macht sie zuerst eine einjährige Ausbildung am Pestalozzi-Fröbel-Haus. Auf diesem Gruppenbild steht Lotte Geppert mittig in der hinteren Reihe, mit dunklem Kragen.


1909 verlässt Lotte Geppert Berlin und zieht nach München. Hier besucht die 26-Jährige die Kunst- und Handwerksschule. Lotte Geppert vereint ihre Fähigkeiten aus München und Berlin: Am Institut für Soziale Arbeit bietet sie Kurse zu den Themen Handwerk und Pädagogik an. Bald unterrichtet sie auch am Kindergärtnerinnen-Seminar und an der Sozialen Frauenschule.[4]

Der Sonnengarten

In Nürnberg wird Lotte Geppert dann Teil eines besonderen Projekts: 1923 gründet sie einen Sonderkindergarten. Er ist für Kinder gedacht, die Förderung brauchen, weil sie psychische Probleme oder eine verzögerte Entwicklung haben. Der Sonnengarten hat ein innovatives Konzept: Die Kinder können auf dem großen Gelände frei spielen. Selbst der Mittagsschlaf findet draußen statt – solange das Wetter es zulässt. Die Eltern der Kinder werden eingebunden: Sie kümmern sich zum Beispiel um Gartenarbeiten.[5] Sie sollen aber nicht nur mithelfen, sondern auch etwas lernen. Deshalb sind an den Sonderkindergarten sogenannte Mütterkurse gekoppelt. Die Idee: Wenn ein Kind drei Jahre lang in den Kindergarten geht, durchläuft seine Mutter drei Jahre lang Erziehungsunterricht.[6]

Das Konzept überzeugt: 1928 wird Lotte Geppert von der Stadt Wien beauftragt, auch hier einen Kindergarten mit Mütterschule aufzubauen. Innerhalb des Paritätischen in Bayern entsteht zum Beispiel 1930 in Augsburg eine Mütterschule.[7]

Die Münchner Mütterschule

1933 muss Lotte Geppert ihre Arbeit aufgeben. Sie hat jüdische Vorfahren. 1936 flieht sie in die Schweiz. Hier gibt sie Privatunterricht und schreibt Fachartikel. Es ist kein leichtes Leben.[8]

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs kehrt Lotte Geppert nach München zurück. Ab 1946 unterrichtet sie wieder am Kindergärtnerinnen- und Hortnerinnen-Seminar und an der Sozialen Frauenschule.[9] Gleichzeitig hilft sie Frauen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten. Sie unterstützt sie mit Mütterkursen, die sie in mehreren Flüchtlingslagern anbietet. Daraus entsteht 1949 die Münchner Mütterschule.

1950 bekommt die Münchner Mütterschule einen eigenen Raum – vom Paritätischen in Bayern. Als sich drei Jahre später der Verein Münchner Mütterschule gründet, wird er sofort Mitglied im Verband. Man befindet sich ja schließlich wortwörtlich unter einem Dach.[10]


In den nächsten Jahren wird das Angebot der Mütterschule immer mehr ausgeweitet. Häufig bleibt dabei eines der Ziele, Mütter aus sozialen Randgruppen in die Gesellschaft zu integrieren.[11] Mit der Zeit werden auch mehr Väter in die Arbeit eingebunden. Ein neuer Name muss her. Ab 1973 wird die Einrichtung deshalb Paritätische Familienbildungsstätte München heißen.[12] Lotte Geppert wird das nicht mehr erleben. Sie stirbt 1968 im Alter von 85 Jahren.[13]

Quellen und Literatur

Quellen:

  • Geppert, Lotte/Mainzer, Julius: Das Leben im Sonderkindergarten. Psychologisches und Pädagogisches zur Methodik freier Kindergartenarbeit, München 1929.
  • Interne Chronik der Fabi – Paritätische Familienbildungsstätte München e.V., o. D.
  • Römer, Gernot (Hg.): Vier Schwestern. Die Lebenserinnerungen von Elisabeth, Lotte, Sophie und Gertrud Dann aus Augsburg. Lebenserinnerungen von Juden aus Schwaben Bd. 1, Augsburg 1998.

Literatur:

  • Berger, Manfred: Frauen in der Geschichte des Kindergartens. Ein Handbuch, Frankfurt am Main 1995.
  • Kuller, Christine: „Stiefkind der Gesellschaft“ oder „Trägerin der Erneuerung“? Familien und Familienpolitik in Bayern 1945 bis 1974, in: Gesellschaft im Wandel 1949 bis 1973. Bayern im Bund Bd. 2, München 2002, S. 269-346.
  • Wegener, Hildburg: Anna von Gierke, in: Digitales Deutsches Frauenarchiv (https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/akteurinnen/anna-von-gierke, Stand: 23.10.2018, aufgerufen 29.2.2024).

Einzelnachweise

  1. Vgl. Berger, Manfred: Frauen in der Geschichte des Kindergartens. Ein Handbuch, Frankfurt am Main 1995, S. 45.
  2. Vgl. Wegener, Hildburg: Anna von Gierke, in: Digitales Deutsches Frauenarchiv (https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/akteurinnen/anna-von-gierke, Stand: 23.10.2018, aufgerufen 29.2.2024).
  3. Vgl. Berger: Frauen in der Geschichte des Kindergartens, S. 45.
  4. Vgl. Berger: Frauen in der Geschichte des Kindergartens, S. 46.
  5. Vgl. Geppert, Lotte/Mainzer, Julius: Das Leben im Sonderkindergarten. Psychologisches und Pädagogisches zur Methodik freier Kindergartenarbeit, München 1929, S. 92-100.
  6. Vgl. Geppert/Mainzer: Das Leben im Sonderkindergarten, S. 100-105.
  7. Vgl. Dann, Sophie: Sie lebte nur für ändere, in: Römer, Gernot (Hg.): Vier Schwestern. Die Lebenserinnerungen von Elisabeth, Lotte, Sophie und Gertrud Dann aus Augsburg. Lebenserinnerungen von Juden aus Schwaben Bd. 1, Augsburg 1998, S. 33.
  8. Vgl. Berger: Frauen in der Geschichte des Kindergartens, S. 48.
  9. Vgl. Berger: Frauen in der Geschichte des Kindergartens, S. 49.
  10. Vgl. interne Chronik der Paritätischen Familienbildungsstätte München.
  11. Vgl. Kuller, Christine: „Stiefkind der Gesellschaft“ oder „Trägerin der Erneuerung“? Familien und Familienpolitik in Bayern 1945 bis 1974, in: Gesellschaft im Wandel 1949 bis 1973. Bayern im Bund Bd. 2, München 2002, S. 316.
  12. Vgl. Interne Chronik der Fabi – Paritätische Familienbildungsstätte München e.V., o. D.
  13. Vgl. Berger: Frauen in der Geschichte des Kindergartens, S. 49.

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