Unermüdlich im Einsatz für ihre taubblinden „Schicksalsgefährten“: Fini Straubinger

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Die taubblinde Fini Straubinger reist jahrzehntelang quer durch Bayern, um andere Betroffene aus der Isolation zu befreien. Sie ist die erste Referentin mit Spezialaufgabe im Bayerischen Blindenbund und eine Pionierin der Unterstützung und Selbsthilfe taubblinder Menschen.


Eine Szene aus Werner Herzogs Dokumentarfilm „Land des Schweigens und der Dunkelheit“: Fini Straubinger (rechts) kommuniziert mit ihrer ebenfalls blinden Assistentin Resi Mittermeier. Die beiden Frauen verständigen sich mithilfe des sogenannten Lorm-Alphabets, durch das Erspüren von Gesten auf der Handinnenfläche.


Ein Unfall verändert ihr Leben

Die am 31. Oktober 1914 geborene Fini Straubinger ist ein lebhaftes Kind. Ihre alleinerziehende Mutter ist vom Tatendrang der Tochter nicht begeistert. Als die neunjährige Fini im Wohnhaus der Familie im niederbayerischen Plattling die Treppe herunterstürzt, erzählt sie aus Angst vor Strafe niemandem davon.[1] Dennoch verändert dieser Unfall im Jahr 1923 ihr Leben.

Fini Straubinger leidet fortan unter Kopfschmerzen und Übelkeit. In der Schule fällt auf, dass sie immer schlechter sehen kann. Ab 1928 muss sie die Landesschule für Blinde in München besuchen. Kurz vor ihrem 16. Geburtstag ist Fini Straubinger völlig blind. Auch der Rest ihres Körpers versagt mehr und mehr, bald kann sie das Bett nicht mehr verlassen. Zudem lässt ihr Hörvermögen nach: „Anfangs begriff ich nicht, was das komische Rauschen in den Ohren war. Und eines Tages hörte ich einfach nichts mehr. Mutter sprach mit mir und ich verstand sie nicht“, wird sie sich später erinnern.[2]

Aus eigener Kraft heraus aus der Isolation

Das Lorm-Alphabet wird Fini Straubingers wichtigstes Werkzeug, mit dem sie viele taubblinde Menschen aus der Isolation befreit.[3]

Fast 30 Jahre lang lebt Fini Straubinger in Abgeschiedenheit, unter Schmerzen, taub, blind und zeitweise vollkommen unbeweglich. Nur das Lesen gibt ihr Kraft: Ein Buch in Blindenschrift über eine Sportlerin, die nach einem Unfall durch hartes Training und Beharrlichkeit ihre Beweglichkeit zurückerlangt, dient ihr als Inspiration.[4]

Motiviert durch die Geschichte der Sportlerin schafft Fini Straubinger das Unglaubliche: Mit Mitte 40 ist sie wieder so fit, dass sie selbst einen Großteil der Pflege ihrer Mutter übernehmen kann. Die beiden Frauen leben mittlerweile gemeinsam in einem Altenheim.[5] Außerdem beherrscht Fini Straubinger jetzt das Lorm-Alphabet. Damit können, durch Tippen oder Streichen auf bestimmte Stellen der Handinnenfläche, einer taubblinden Gesprächsperson Buchstaben übermittelt werden.[6]

Referentin mit Spezialaufgabe im Bayerischen Blindenbund

Nach dem Tod ihrer Mutter zieht Fini Straubinger 1966 nach München in ein Heim für blinde Frauen, das vom Bayerischen Blindenbund betrieben wird. Sie ist jetzt fest entschlossen, auch anderen taubblinden Menschen einen Ausweg aus der Isolation zu eröffnen. Am 6. April 1967 wird sie offiziell zur Taubblindenbetreuerin des Bayerischen Blindenbundes ernannt.[7]

Von nun an reist Fini Straubinger durch Bayern und besucht bis zu 100 ihrer „Schicksalsgefährten“, wie sie sie nennt, pro Jahr.[8] Sie bringt ihnen das Lormen bei, berät ihre Angehörigen und schenkt ihnen Hilfsmittel, die den Alltag ohne Hör- und Sehvermögen erleichtern. Außerdem organisiert sie Treffen und Ausflüge für taubblinde Menschen und führt Informationsveranstaltungen und Seminare durch.[9]


Ab 1971 veranstaltet Fini Straubinger im Blindenkur- und Erholungsheim Saulgrub in Oberbayern mehrmals im Jahr einwöchige Rehabilitationslehrgänge für taubblinde Menschen.[10] Der Paritätische stellt die Einrichtung des Bayerischen Blindenbunds mit diesem Foto in seinem bundesweiten Verbandsmagazin vor.[11]


Das Beispiel Fini Straubinger macht Schule: 1971 ändert der Bayerische Blindenbund seine Satzung und macht ehrenamtliche Referent*innen „zur Wahrnehmung besonderer Aufgaben“ zu einem festen Bestandteil seiner Arbeit.[12] So wird nicht nur die Taubblindenbetreuung innerhalb der Paritätischen Mitgliedsorganisation institutionalisiert.

1976 zeichnet der Paritätische Wohlfahrtsverband Fini Straubinger mit seiner Goldenen Ehrenplakette „für besondere Verdienste“ aus.[13] Ein Dokumentarfilm des Regisseurs Werner Herzog, der ihre Lebensgeschichte erzählt und ihre Arbeit begleitet, wird vielfach auf internationalen Filmfestivals und im deutschen Fernsehen gezeigt. So gibt Fini Straubinger taubblinden Menschen ein Gesicht. Als sie im Oktober 1981 im Alter von 67 Jahren stirbt, resümiert der Paritätische Wohlfahrtsverband: „Unsere Welt ist ein Stück ärmer geworden.“[14]


Der Paritätische gedenkt Fini Straubinger unter anderem mit diesem Nachruf in seiner bundesweit erscheinenden Zeitung parität aktuell.[15] Anders als hier angegeben, wurde Fini Straubinger aber nicht mit der silbernen, sondern mit der Goldenen Ehrenplakette des Verbands ausgezeichnet.[16]


Quellen und Literatur

Quellen:

  • Flappiefh: Alphabet de Lorm allemand, in: Wikimedia Commons (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Alphabet_de_Lorm_allemand.svg, aufgerufen 25.9.2023), CC BY-SA 3.0.
  • Land des Schweigens und der Dunkelheit (BRD 1971, R: Werner Herzog).
  • o. A.: Unsere Mitgliedsorganisation. Blindenkur- und Erholungsheim, Saulgrub/Oberbayern, in: DPWV-Nachrichten (1977) Heft 1/2, S. 2.
  • o. A.: Selbstlose Hilfe für Taubblinde. Zum Gedenken an Fini Straubinger, in: parität aktuell (1982) Nr. 1, o. S.
  • o. A.: Taubblindenbetreuerin Finni [sic] Straubinger, in: DPWV-Nachrichten (1976) Heft 7, S. 95.

Literatur:

  • Demmel, Herbert: Durch Nacht zum Licht. Geschichte des Bayerischen Blindenbundes, München 1995.

Einzelnachweise

  1. Alle direkten Zitate von Fini Straubinger sind dem Film Land des Schweigens und der Dunkelheit (BRD 1971, R: Werner Herzog) entnommen und zum Teil sprachlich leicht geglättet worden. Der Ablauf ihres Unfalls und des Krankheitsverlaufs sind, soweit nicht anders angegeben, ebenfalls dem Film entnommen.
  2. Fini Straubinger in: Land des Schweigens und der Dunkelheit (BRD 1971, R: Werner Herzog).
  3. Flappiefh: Alphabet de Lorm allemand, in: Wikimedia Commons (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Alphabet_de_Lorm_allemand.svg, aufgerufen 25.9.2023), CC BY-SA 3.0.
  4. Vgl. o. A.: Taubblindenbetreuerin Finni [sic] Straubinger, in: DPWV-Nachrichten (1976) Heft 7, S. 95.
  5. Vgl. ebd.
  6. Vgl. Demmel, Herbert: Durch Nacht zum Licht, Geschichte des Bayerischen Blindenbundes, München 1995, S. 424.
  7. Vgl. Demmel: Durch Nacht zum Licht, S. 424.
  8. Straubinger in: Land des Schweigens und der Dunkelheit.
  9. Vgl. o. A.: Taubblindenbetreuerin Finni Straubinger.
  10. Vgl. Demmel: Durch Nacht zum Licht, S. 425.
  11. o. A.: Unsere Mitgliedsorganisation. Blindenkur- und Erholungsheim, Saulgrub/Oberbayern, in: DPWV-Nachrichten (1977) Heft 1/2, S. 2.
  12. Zitiert nach Demmel: Durch Nacht zum Licht, S. 423.
  13. Vgl. o. A.: Taubblindenbetreuerin Finni Straubinger.
  14. o. A.: Selbstlose Hilfe für Taubblinde. Zum Gedenken an Fini Straubinger, in: parität aktuell (1982) Nr. 1, o. S.
  15. Ebd.
  16. Vgl. o. A.: Taubblindenbetreuerin Finni Straubinger.

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