Ein Netzwerk engagierter Frauen: Der Verein für Fraueninteressen und das Umfeld des Paritätischen in Bayern

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Der Paritätische in Bayern wird in den 1920er Jahren innerhalb eines Netzwerks sozial engagierter Frauen gegründet. In seinem Umfeld entstehen viele Initiativen und Projekte der bürgerlichen Frauenbewegung. Diese Tradition wird den Paritätischen personell und inhaltlich lange prägen.

Das erste Ziel heißt Bildung

Universitäten sind lange ein Raum nur für Männer. Frauen dürfen nicht studieren. Im 19. Jahrhundert ist das in vielen Ländern schon anders: Zum Beispiel in England, Russland und den USA können Frauen einen Studienabschluss machen. Einige von ihnen möchten sich gerne auch an bayerischen Universitäten fortbilden. In München, Würzburg und Erlangen gibt es öffentliche Universitäten. Aber keine von ihnen lässt Frauen zum Studium zu – selbst wenn sie im Ausland renommierte Wissenschaftlerinnen sind. 1896 schafft es eine amerikanische Zoologie-Professorin, Marcella O’Grady, als Gasthörerin für ein Jahr an die Universität Würzburg kommen zu dürfen. Das löst eine Bewegung in Würzburg aus: Einige wohlhabende Frauen gründen den Verein Frauenheil. Mit ihm wollen sie für mehr Bildungsmöglichkeiten für Mädchen und Frauen kämpfen.[1] Der Verein kann bald erreichen, dass an der Universität Würzburg eigene Vortragsreihen für Frauen über naturwissenschaftliche Themen entstehen. Ein erster Schritt in Richtung Frauenstudium. Auch an der Universität München gibt es solche Angebote.[2] Hier gibt es schon seit ein paar Jahren den Verein Frauenbildungs-Reform. Der verfolgt eine für die damalige Zeit radikale Forderung: Mädchen und Frauen sollen nicht nur mehr Bildungsmöglichkeiten bekommen als bisher, ihnen sollen die selben Dinge offen stehen wie Jungen und Männern – von der Schule bis zur Universität.

An bayerischen Universitäten studieren erstmal vor allem Frauen, die nicht aus Bayern stammen. Denn hier gibt es noch keine Möglichkeit für Mädchen, das Abitur zu machen. Das erste Mädchen in Bayern, dem das erlaubt wird, ist Margarete Schüler aus Fürth 1898. Sie hat sich mit Privatunterricht auf die Prüfung vorbereitet, die sie mit 19 Jahren in Nürnberg ablegt.[3] Fünf Jahre später dürfen Frauen in Bayern endlich studieren. Ihnen stehen jetzt die Universitäten München, Würzburg und Erlangen offen.[4] Aber die Hürden bleiben hoch: Schulausbildung für Mädchen ist teuer – anders als der Besuch eines staatlichen Gymnasiums für Jungen.[5]

Neue Chancen durch „geistige Mütterlichkeit“

Der Verein Frauenbildungs-Reform wird seit 1894 von der Vorsitzenden Ika Freudenberg geleitet.[6] Im selben Jahr, in dem Ika Freudenberg den Vorsitz übernommen hat, hat sie auch eine neue Vereinigung in München gegründet: Die Gesellschaft zur Förderung geistiger Interessen der Frau. Ein Jahr später gehörten der schon 122 Frauen an.[7] Personelle Überschneidungen, wie beim Verein Frauenbildungs-Reform und der Gesellschaft zur Förderung geistiger Interessen der Frau, gibt es oft in der bürgerlichen Frauenbewegung dieser Zeit. Es ist im Nachhinein nicht immer leicht, genau auseinanderzuhalten, wer an welchen Organisationen und Projekten beteiligt war oder sie angestoßen hat. So wird es auch in den nächsten Jahren bleiben, als der Paritätische in Bayern in diesem Umfeld entsteht.

Die Gesellschaft zur Förderung geistiger Interessen der Frau wird nach wenigen Jahren umbenannt. Sie heißt jetzt einfach Verein für Fraueninteressen.[8] Der Name deutet an, worum es der bürgerlichen Frauenbewegung geht: Um die spezifischen Interessen der Frau, die sich aus ihrer Natur ergeben und verallgemeinern lassen. Frauen haben nämlich, so glauben es die Aktivistinnen, bestimmte Eigenschaften und Fähigkeiten, die Männer nicht haben. Dadurch sind sie für bestimmte Dinge besser geeignet. Dazu gehört vor allem: Soziale Arbeit. Denn: Frauen haben eine „geistige Mütterlichkeit“. Das hat nichts damit zu tun, ob sie tatsächlich Kinder haben oder nicht. Gemeint ist eine innere Haltung gegenüber anderen Menschen, Wärme und emotionale Intelligenz. Das passt zum bürgerlichen Familienideal dieser Zeit. Das hat Frauen aber bisher in den Haushalt verbannt. Die Frauenbewegung nutzt dieselben Argumente jetzt, um neue Möglichkeiten außerhalb der eigenen vier Wände für Frauen zu schaffen. Eine ganze Branche wird so im Grunde für Frauen reserviert. Gleichzeitig bedeutet das auch: Der vermeintliche Unterschied zwischen Frauen und Männern wird betont. Das unterscheidet die gemäßigtere bürgerliche von anderen Facetten der Frauenbewegung.[9]

All das führt dazu, dass Organisationen wie der Verein für Fraueninteressen sich mehr und mehr mit Sozialer Arbeit befassen. Diese Entwicklung bildet den Grundstein für die Gründung des Paritätischen in Bayern.

Eine Einheit – nicht nur räumlich

1912 wird Luise Kiesselbach Vorsitzende des Vereins für Fraueninteressen. Mit ihr bekommt das Soziale einen neuen Stellenwert im Verein. Sie benennt ihn sogar um: Für einige Jahre heißt er Verein für Fraueninteressen und Frauenarbeit – bis er schließlich zur kürzeren Namensversion zurückkehrt. „Frauenarbeit“, damit meint Luise Kiesselbach all das, wozu ihrer Meinung nach nur Frauen in der Lage sind: Soziale Arbeit.[10] Schon 1906 wurde eine eigene „Abteilung für Soziale Arbeit“ innerhalb des Vereins gegründet.[11]

Im Verein für Fraueninteressen sind jetzt viele Frauen aktiv, die von der Arbeit ihrer Vorgängerinnen profitiert haben: Sie sind hoch gebildet. Unter ihnen sind einige Akademikerinnen, die sogar in Bayern promoviert haben. Dazu gehören Elisabeth Bamberger, Anna Heim-Pohlmann und Hilde Obermair-Schoch. Ohne den Einsatz von Organisationen wie dem Verein Frauenbildungs-Reform wäre das nicht denkbar gewesen.

Es sind vor allem solch gebildete Frauen aus der oberen Mittelschicht, die den Paritätischen in Bayern in den 1920er Jahren aufbauen. Wie in der bürgerlichen Frauenbewegung Bayerns üblich, gibt es auch im Wohlfahrtsverband viele personelle und organisatorische Überschneidungen. Am deutlichsten sichtbar wird das in der Geschäftsstelle des Verbands. Die ist in der Brienner Straße 37, der „Zentrale für paritätische Wohlfahrtsarbeit und Frauenarbeit“.[12] Der Name ist Programm: Neben dem Paritätischen in Bayern und dem Verein für Fraueninteressen sind hier auch die Gesellschaft der Altersfreunde und viele weitere Organisationen untergebracht. Die Grenzen zwischen ihnen verlaufen fließend. In den Räumen im Erdgeschoss herrscht besonders geschäftiges Treiben: Hier tummeln sich immer viele Besucher*innen.[13]

Diese Tradition werden der Paritätische in Bayern und der Verein für Fraueninteressen nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufnehmen: Sie werden wieder eine Bürogemeinschaft bilden. Erst in den 1960er Jahren werden sie sich räumlich voneinander trennen.[14]

Quellen und Literatur

Quellen:

  • Archiv des Instituts für Zeitgeschichte, ED 898/677, Archiv des Vereins für Fraueninteressen, DPWV, LV Bayern, Teil 1, bis 1927.


Literatur:

  • Kaiser, Gisela: Studentinnen in Würzburg, München und Erlangen. Ein Vergleich, in: Häntzschel, Hiltrud/Bußmann, Hadumod (Hg.): Bedrohlich gescheit. Ein Jahrhundert Frauen und Wissenschaft in Bayern, München 1997, S. 57—68.
  • Knauer-Nothaft, Christl: Bayerns Töchter auf dem Weg zur Alma mater. Das höhere Mädchenschulwesen, in: Häntzschel, Hiltrud/Bußmann, Hadumod (Hg.): Bedrohlich gescheit. Ein Jahrhundert Frauen und Wissenschaft in Bayern, München 1997, S. 69—83.
  • Sachße, Christoph: Mütterlichkeit als Beruf. Sozialarbeit, Sozialreform und Frauenbewegung 1871 bis 1929, Weinheim 2003.
  • Verein für Fraueninteressen (Hg.): 100 Jahre Verein für Fraueninteressen, München 1994.


Einzelnachweise

  1. Vgl. Kaiser, Gisela: Studentinnen in Würzburg, München und Erlangen. Ein Vergleich, in: Häntzschel, Hiltrud/Bußmann, Hadumod (Hg.): Bedrohlich gescheit. Ein Jahrhundert Frauen und Wissenschaft in Bayern, München 1997, S. 58 f.
  2. Vgl. Kaiser: Studentinnen, S. 59 f.
  3. Vgl. Knauer-Nothaft, Christl: Bayerns Töchter auf dem Weg zur Alma mater. Das höhere Mädchenschulwesen, in: Häntzschel, Hiltrud/Bußmann, Hadumod (Hg.): Bedrohlich gescheit. Ein Jahrhundert Frauen und Wissenschaft in Bayern, München 1997, S. 70.
  4. Vgl. Kaiser: Studentinnen, S. 57.
  5. Vgl. Knauer-Nothaft, Christl: Bayerns Töchter, S. 79.
  6. Vgl. Kaiser: Studentinnen, S. 60.
  7. Vgl. 100 Jahre Verein für Fraueninteressen, S. 3—4.
  8. Vgl. 100 Jahre Verein für Fraueninteressen, S. 5.
  9. Vgl. Sachße, Christoph: Mütterlichkeit als Beruf. Sozialarbeit, Sozialreform und Frauenbewegung 1871 bis 1929, Weinheim 2003, S. 97—103.
  10. Vgl. 100 Jahre Verein für Fraueninteressen, S. 6.
  11. Vgl. 100 Jahre Verein für Fraueninteressen, S. 43.
  12. Vgl. Archiv des Instituts für Zeitgeschichte, ED 898/677, Archiv des Vereins für Fraueninteressen, DPWV, LV Bayern, Teil 1, bis 1927.
  13. Vgl. ebd.
  14. Vgl. ebd.

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