„Meisterin der Jugendhilfe“ und Täterin: Elisabeth Bamberger: Unterschied zwischen den Versionen

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''Elisabeth Bamberger ist eine überaus erfolgreiche Frau, die für Bildungs- und Karrieremöglichkeiten kämpft. Sie ist von Beginn an Teil des Netzwerks um den Paritätischen in Bayern und jahrzehntelang eine gefragte Expertin, wenn es um Fragen der Familien- und Jugendfürsorge geht. Ihre einflussreiche Tätigkeit während des Nationalsozialismus ist dabei kein Hindernis.''
''Elisabeth Bamberger ist eine wichtige Figur in der Geschichte des Vereins für Fraueninteressen, des Paritätischen in Bayern und der Jugendhilfe in der jungen Bundesrepublik. Sie hat aber auch einen Anteil an der Verfolgung von Menschen in München während der Zeit des Nationalsozialismus.''
<br>[[Datei:Bamberger 1953.jpg|gerahmt|zentriert|<center>So sieht man Elisabeth Bamberger (ganz links) häufig: In eine Diskussion vertieft, mit Zigarette in der Hand. Das Bild zeigt sie während einer Sitzung zum Thema „Jugend und Politik“ im Münchner Rathaus im Juli 1953.</center>]]<br>
<br>[[Datei:Bamberger 1953.jpg|gerahmt|zentriert|<center>So sieht man Elisabeth Bamberger (ganz links) häufig: In eine Diskussion vertieft, mit Zigarette in der Hand. Das Bild zeigt sie während einer Sitzung zum Thema „Jugend und Politik“ im Münchner Rathaus im Juli 1953.</center>]]<br>
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==Von der Universität ins Wohlfahrtsamt==
==Von der Universität ins Wohlfahrtsamt==
Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs 1918 sind nur elf Prozent der Studierenden an der Münchner Universität Frauen. Eine von ihnen ist die am 13. Dezember 1890 im oberbayerischen Erding geborene Elisabeth Bamberger. Sie studiert Nationalökonomie und promoviert 1922 über „Die Finanzverwaltung in den deutschen Territorien des Mittelaters“.<ref>Vgl. Angermair, Elisabeth: Die Illusion des Regenbogens. Perspektiven für Frauen in der Nachkriegsgesellschaft, München 2007, S. 75.</ref>
Elisabeth Bamberger, geboren am 13. Dezember 1890 im oberbayerischen Erding, promoviert 1922 über „Die Finanzverwaltung in den deutschen Territorien des Mittelaters“.<ref>Vgl. Angermair, Elisabeth: Die Illusion des Regenbogens. Perspektiven für Frauen in der Nachkriegsgesellschaft, München 2007, S. 75.</ref>Das ist etwas Besonderes: Frauen machen zu dieser Zeit nur etwa elf Prozent der Studierenden an der Münchner Universität aus.<ref>Vgl. ebd.</ref>


Anschließend wird Elisabeth Bamberger Leiterin der neuen Abteilung „Familienfürsorge“ im Münchner Wohlfahrtsamt. In dieser Position hat sie die Aufsicht über alle Wohlfahrtspflegerinnen der Stadt: Sie ist an ihrer Einstellung und Weiterbildung beteiligt und bespricht besonders schwierige Fürsorgefälle mit ihnen.<ref>Vgl. Brunner, Claudia: Frauenarbeit im Männerstaat. Wohlfahrtspflegerinnen im Spannungsfeld kommunaler Sozialpolitik in München 1918—1938, Pfaffenweiler 1994, S. 35—37.</ref> Als promovierte Nationalökonomin ist sie deutlich überqualifiziert, aber Frauen haben auf dem Arbeitsmarkt wenig Spielraum.<ref>Vgl. Bergmeier, Monika: „Vom Lebenswunsch, sozial zu arbeiten“. Nationalökonominnen in München bis 1933, in: Häntzschel, Hiltrud/Bußmann, Hadumod (Hg.): Bedrohlich gescheit. Ein Jahrhundert Frauen und Wissenschaft in Bayern, München 1997, S. 185.</ref>
Danach geht Elisabeth Bamberger zum Münchner Wohlfahrtsamt und wird Leiterin der neuen Abteilung „Familienfürsorge“. In dieser Position hat sie die Aufsicht über alle Wohlfahrtspflegerinnen der Stadt: Sie ist an ihrer Einstellung und Weiterbildung beteiligt und bespricht besonders schwierige Fürsorgefälle mit ihnen.<ref>Vgl. Brunner, Claudia: Frauenarbeit im Männerstaat. Wohlfahrtspflegerinnen im Spannungsfeld kommunaler Sozialpolitik in München 1918—1938, Pfaffenweiler 1994, S. 35—37.</ref> Als promovierte Nationalökonomin ist sie überqualifiziert, aber Frauen haben auf dem Arbeitsmarkt wenig Spielraum.<ref>Vgl. Bergmeier, Monika: „Vom Lebenswunsch, sozial zu arbeiten“. Nationalökonominnen in München bis 1933, in: Häntzschel, Hiltrud/Bußmann, Hadumod (Hg.): Bedrohlich gescheit. Ein Jahrhundert Frauen und Wissenschaft in Bayern, München 1997, S. 185.</ref>
 
<br>[[Datei:Fürsorgerin.jpg|gerahmt|zentriert|<center>„Die Tätigkeit der Familienfürsorgerin“: Unter dem Motto „Zu großer Bezirk verwirrt Kopf und Herz“ wirbt dieses Modell von 1926 dafür, Wohlfahrtspflegerinnen überschaubare Gebiete zuzuteilen. Hausbesuche machen einen wichtigen Teil ihrer täglichen Arbeit aus.<ref>DHMD 2013/830.52, Foto des Modells „Die Tätigkeit der Familienfürsorgerin. Zu großer Bezirk verwirrt Kopf und Herz“ auf der Großen Ausstellung Gesundheitspflege (GE) soziale Fürsorge (SO) und Leibesübungen (LEI) Düsseldorf 1926. </ref></center>]]<br>


==Zwischen Stadtverwaltung und freier Wohlfahrtspflege==
==Zwischen Stadtverwaltung und freier Wohlfahrtspflege==


Als Leiterin der Familienfürsorge ist Elisabeth Bamberger auch für Ehrenamtliche und für die Zusammenarbeit des Wohlfahrtsamtes mit der freien Wohlfahrtspflege zuständig.<ref>Vgl. Brunner: Frauenarbeit im Männerstaat, S. 37.</ref> Das passt gut: Sie ist selbst Mitglied im [[Verein für Fraueninteressen]]. Bei Vorträgen und Lehrgängen wirbt sie für mehr ehrenamtliche Mitarbeit in der Fürsorge und hilft, neue Freiwillige auszubilden.<ref>Vgl. O. A.: Die Mitarbeit ehrenamtlicher Kräfte, in: Münchner Neueste Nachrichten, 19.6.1927, S. 33.</ref>
Elisabeth Bamberger ist auch für Ehrenamtliche und für die Zusammenarbeit des Wohlfahrtsamtes mit der freien Wohlfahrtspflege zuständig.<ref>Vgl. Brunner, Claudia: Frauenarbeit im Männerstaat. Wohlfahrtspflegerinnen im Spannungsfeld kommunaler Sozialpolitik in München 1918—1938, Pfaffenweiler 1994, S. 37.</ref> Das passt gut: Sie ist selbst Mitglied im [[Verein für Fraueninteressen]]. Bei Vorträgen und Lehrgängen wirbt sie für mehr ehrenamtliche Mitarbeit in der Fürsorge und hilft, neue Freiwillige auszubilden.<ref>O. A.: Die Mitarbeit ehrenamtlicher Kräfte, in: Münchner Neueste Nachrichten, 19.6.1927, S. 33.</ref> Im Oktober 1932 übernimmt sie den Vorsitz des Akademikerinnenbundes, einer Ausgründung des Vereins für Fraueninteressen. Er setzt sich für die Besserstellung von hochqualifizierten Frauen auf dem Arbeitsmarkt ein.<ref>Vgl. Jahresbericht des Vereins für Fraueninteressen und Frauenarbeit vom 1. Oktober 1932 bis 30 September 1933, in: Archiv des Instituts für Zeitgeschichte, ED 898/585, Korrespondenz des Vereins für Fraueninteressen vor 1945, 1933-1936.</ref>


Im Oktober 1932 übernimmt sie den Vorsitz des Akademikerinnenbundes, einer Ausgründung des Vereins für Fraueninteressen.<ref>Vgl. Jahresbericht des Vereins für Fraueninteressen und Frauenarbeit vom 1. Oktober 1932 bis 30 September 1933, in: Archiv des Instituts für Zeitgeschichte, ED 898/585, Korrespondenz des Vereins für Fraueninteressen vor 1945, 1933-1936.</ref> Er setzt sich für die Besserstellung von hochqualifizierten Frauen auf dem Arbeitsmarkt ein. Wie wichtig das ist, weiß Elisabeth Bamberger aus eigener Erfahrung.
==Elisabeth Bamberger im Nationalsozialismus==


==Eine Schreibtischtäterin==
Auch im Nationalsozialismus bleibt Elisabeth Bamberger Leiterin der Münchner Familienfürsorge. In die NSDAP tritt sie nicht ein. Ihre Arbeit wird im nationalsozialistischen System aber so positiv wahrgenommen, dass sie 1941 befördert wird. Die Hausbesuche und Berichte der Fürsorgerinnen dienen jetzt dazu, die vom Wohlfahrtsamt betreuten Menschen zu kontrollieren. Wer im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie als „asozial“, „arbeitsscheu“ oder „minderwertig“ eingestuft wird, dem drohen Zwangssterilisation, Zwangsarbeit oder das Konzentrationslager Dachau.<ref>Vgl. Wimmer, Florian: Die völkische Ordnung von Armut. Kommunale Sozialpolitik im nationalsozialistischen München, Göttingen 2014, S. 113—114 sowie S. 125.</ref> Elisabeth Bamberger setzt sich persönlich für eine strikte Verfolgung und Drangsalierung von Menschen im Sinne der NS-Ideologie ein. Sie beschwert sich zum Beispiel darüber, dass sich die Polizei zu oft durch vermeintlich faule Arbeitslose „an der Nase herum[führen]“ ließe.<ref>Zitiert nach Wimmer: Die völkische Ordnung von Armut, S. 286.</ref>


Im Nationalsozialismus kommt der Familienfürsorge eine neue Bedeutung zu. Mehr denn je dienen ihre Hausbesuche und Berichte jetzt dazu, die vom Wohlfahrtsamt betreuten Menschen zu kontrollieren. Wer als „asozial“, „arbeitsscheu“ oder „minderwertig“ eingestuft wird, dem drohen Zwangssterilisation, Zwangsarbeit oder das Konzentrationslager Dachau.<ref>Vgl. Wimmer, Florian: Die völkische Ordnung von Armut. Kommunale Sozialpolitik im nationalsozialistischen München, Göttingen 2014, S. 113—114 sowie S. 125.</ref> Elisabeth Bamberger ist für solche Maßnahmen mitverantwortlich und setzt sich persönlich für ein hartes Vorgehen ein.<ref>Vgl. Wimmer: Die völkische Ordnung von Armut, S. 286.</ref> Währenddessen bleibt sie im Verein für Fraueninteressen aktiv, der gegen eine drohende [[Auflösung durch die NS-Behörden]] kämpft.
==Ungebremste Karriere==


==Ungebremste Karriere in der jungen Bundesrepublik==
Nach 1945 kann Elisabeth Bamberger ihre Karriere ungehindert fortsetzen. Sie wird Direktorin des Münchner Jugendamtes. Als formal unbelastete Person kann sie sich für frühere Kollegen einsetzen und ihnen bei der Entnazifizierung helfen.<ref>Vgl. Wimmer: Die völkische Ordnung von Armut, S. 415.</ref> Im Verein für Fraueninteressen, von dem zu dieser Zeit der Paritätische in Bayern neu aufgebaut wird,  sitzt sie weiter im Vorstand.<ref>Vgl. Archiv des Instituts für Zeitgeschichte, ED 898/ 18, Akten des Vorstands des Vereins für Fraueninteressen, 1946-1994.</ref> Elisabeth Bamberger wird zu einer wichtigen und hoch geachteten Person in der Jugendhilfe der jungen Bundesrepublik. Sie stößt wichtige Reformen an und beteiligt sich rege am fachlichen Austausch.
 
Nach 1945 kann Elisabeth Bamberger ihre Karriere ungehindert fortsetzen. Ihr kommt zugute, dass sie nie in die NSDAP eingetreten ist: Sie wird Direktorin des Münchner Jugendamtes. Als formal unbelastete Person kann sie sich für frühere Vorgesetzte und Kollegen einsetzen.<ref>Vgl. Wimmer: Die völkische Ordnung von Armut, S. 415.</ref> Sie nimmt an den Beratungen über einen möglichen Beitritt der Bundesrepublik zur Unesco teil.<ref>Vgl. Archiv des Instituts für Zeitgeschichte, ED 898/ 18, Akten des Vorstands des Vereins für Fraueninteressen, 1946-1994.</ref> Im Verein für Fraueninteressen, von dem zu dieser Zeit der [[Paritätische in Bayern neu aufgebaut]] wird, sitzt sie im Vorstand.<ref>Vgl. ebd.</ref>
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[[Datei:Bamberger DPWV-Nachrichten.jpg|gerahmt|zentriert|<center>Elisabeth Bamberger ist bekannt dafür, dass sie sich lebhaft an allen öffentlichen Diskussionen beteiligt, die Jugendschutz und Jugendfürsorge betreffen. Für den Paritätischen ist sie eine wichtige Expertin. Im bundesweiten Verbandsmagazin wird 1952 dieser Vortrag abgedruckt, den sie bei einer Fachtagung gehalten hat.<ref>O. A.: Frau Dr. E. Bamberger, München, sprach zum Jugendschutzgesetz, in: DPWV-Nachrichten (1952) Heft 10, S. 4.</ref></center>]]
[[Datei:Bamberger DPWV-Nachrichten.jpg|gerahmt|zentriert|<center>Elisabeth Bamberger ist bekannt dafür, dass sie sich lebhaft an allen öffentlichen Diskussionen beteiligt, die Jugendschutz und Jugendfürsorge betreffen. Für den Paritätischen ist sie eine wichtige Expertin. Im bundesweiten Verbandsmagazin wird 1952 dieser Vortrag abgedruckt, den sie bei einer Fachtagung gehalten hat.<ref>O. A.: Frau Dr. E. Bamberger, München, sprach zum Jugendschutzgesetz, in: DPWV-Nachrichten (1952) Heft 10, S. 4.</ref></center>]]
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1955 wird Elisabeth Bamberger pensioniert. Die 65-Jährige übernimmt den Vorsitz des Münchner Vereins Kinderschutz und Mutterschutz, einer der Gründungsorganisationen des Paritätischen in Bayern. Anlässlich ihres 80. Geburtstags wird sie noch einmal als „vielverehrte Meisterin der Jugendhilfe“ und „Kämpferin für ein lebendiges Jugendamt“ gefeiert.<ref>O. A.: Dr. Elisabeth Bamberger zum 80. Geburtstag, in: Bayerischer Wohlfahrtsdienst. Mitteilungsblatt der Arbeitsgemeinschaft der öffentlichen und freien Wohlfahrtspflege in Bayern (1971) Heft 6, S. 6.</ref> Sie stirbt am 23. September 1984 in München.<ref>O. A.: Elisabeth Bamberger, in: Bayerischer Wohlfahrtsdienst. Mitteilungsblatt der Arbeitsgemeinschaft der öffentlichen und freien Wohlfahrtspflege in Bayern (1984) Heft 12, S. 155.</ref> Ihre [[Mittäterinnenschaft im Nationalsozialismus]] ist bis dahin nicht thematisiert worden – weder von ihr, noch von ihren Wegbegleiter*innen.
 
 
 
1955 wird Elisabeth Bamberger pensioniert. Die 65-Jährige übernimmt den Vorsitz des Münchner Vereins Kinderschutz und Mutterschutz, einer der Gründungsorganisationen des Paritätischen in Bayern. Anna Heim-Pohlmann nennt sie wenig später in einem Brief „eine wertvolle Mitarbeiterin und gute Paritäterin“.<ref>Archiv Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband - Gesamtverband e. V., Anna Heim-Pohlmann an Kurz Göbel, 12.12.1957.</ref> Anlässlich ihres 80. Geburtstags wird Elisabeth Bamberger als „vielverehrte Meisterin der Jugendhilfe“ und „Kämpferin für ein lebendiges Jugendamt“ gefeiert.<ref>O. A.: Dr. Elisabeth Bamberger zum 80. Geburtstag, in: Bayerischer Wohlfahrtsdienst. Mitteilungsblatt der Arbeitsgemeinschaft der öffentlichen und freien Wohlfahrtspflege in Bayern (1971) Heft 6, S. 6.</ref> Sie stirbt am 23. September 1984 in München, ohne dass [[ihre Arbeit während der Zeit des Nationalsozialismus]] kritisch beleuchtet wurde.<ref>O. A.: Elisabeth Bamberger, in: Bayerischer Wohlfahrtsdienst. Mitteilungsblatt der Arbeitsgemeinschaft der öffentlichen und freien Wohlfahrtspflege in Bayern (1984) Heft 12, S. 155.</ref>


==Quellen und Literatur==
==Quellen und Literatur==
'''Quellen:'''
'''Quellen:'''
*Deutsches Hygiene-Museum Dresden, 2013/830.52, Foto des Modells „Die Tätigkeit der Familienfürsorgerin. Zu großer Bezirk verwirrt Kopf und Herz“ auf der Großen Ausstellung Gesundheitspflege (GE) soziale Fürsorge (SO) und Leibesübungen (LEI) Düsseldorf 1926.  
*Archiv des Instituts für Zeitgeschichte, ED 898/ 18, Akten des Vorstands des Vereins für Fraueninteressen, 1946-1994.
*Archiv Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband - Gesamtverband e. V., Anna Heim-Pohlmann an Kurz Göbel, 12.12.1957.
*O. A.: Die Mitarbeit ehrenamtlicher Kräfte, in: Münchner Neueste Nachrichten, 19.6.1927, S. 33
*O. A.: Die Mitarbeit ehrenamtlicher Kräfte, in: Münchner Neueste Nachrichten, 19.6.1927, S. 33
*O. A.: Dr. Elisabeth Bamberger zum 80. Geburtstag, in: Bayerischer Wohlfahrtsdienst. Mitteilungsblatt der Arbeitsgemeinschaft der öffentlichen und freien Wohlfahrtspflege in Bayern (1971) Heft 6, S. 6.
*O. A.: Dr. Elisabeth Bamberger zum 80. Geburtstag, in: Bayerischer Wohlfahrtsdienst. Mitteilungsblatt der Arbeitsgemeinschaft der öffentlichen und freien Wohlfahrtspflege in Bayern (1971) Heft 6, S. 6.

Version vom 10. Juli 2024, 10:56 Uhr

Elisabeth Bamberger ist eine wichtige Figur in der Geschichte des Vereins für Fraueninteressen, des Paritätischen in Bayern und der Jugendhilfe in der jungen Bundesrepublik. Sie hat aber auch einen Anteil an der Verfolgung von Menschen in München während der Zeit des Nationalsozialismus.


Datei:Bamberger 1953.jpg
So sieht man Elisabeth Bamberger (ganz links) häufig: In eine Diskussion vertieft, mit Zigarette in der Hand. Das Bild zeigt sie während einer Sitzung zum Thema „Jugend und Politik“ im Münchner Rathaus im Juli 1953.


Von der Universität ins Wohlfahrtsamt

Elisabeth Bamberger, geboren am 13. Dezember 1890 im oberbayerischen Erding, promoviert 1922 über „Die Finanzverwaltung in den deutschen Territorien des Mittelaters“.[1]Das ist etwas Besonderes: Frauen machen zu dieser Zeit nur etwa elf Prozent der Studierenden an der Münchner Universität aus.[2]

Danach geht Elisabeth Bamberger zum Münchner Wohlfahrtsamt und wird Leiterin der neuen Abteilung „Familienfürsorge“. In dieser Position hat sie die Aufsicht über alle Wohlfahrtspflegerinnen der Stadt: Sie ist an ihrer Einstellung und Weiterbildung beteiligt und bespricht besonders schwierige Fürsorgefälle mit ihnen.[3] Als promovierte Nationalökonomin ist sie überqualifiziert, aber Frauen haben auf dem Arbeitsmarkt wenig Spielraum.[4]

Zwischen Stadtverwaltung und freier Wohlfahrtspflege

Elisabeth Bamberger ist auch für Ehrenamtliche und für die Zusammenarbeit des Wohlfahrtsamtes mit der freien Wohlfahrtspflege zuständig.[5] Das passt gut: Sie ist selbst Mitglied im Verein für Fraueninteressen. Bei Vorträgen und Lehrgängen wirbt sie für mehr ehrenamtliche Mitarbeit in der Fürsorge und hilft, neue Freiwillige auszubilden.[6] Im Oktober 1932 übernimmt sie den Vorsitz des Akademikerinnenbundes, einer Ausgründung des Vereins für Fraueninteressen. Er setzt sich für die Besserstellung von hochqualifizierten Frauen auf dem Arbeitsmarkt ein.[7]

Elisabeth Bamberger im Nationalsozialismus

Auch im Nationalsozialismus bleibt Elisabeth Bamberger Leiterin der Münchner Familienfürsorge. In die NSDAP tritt sie nicht ein. Ihre Arbeit wird im nationalsozialistischen System aber so positiv wahrgenommen, dass sie 1941 befördert wird. Die Hausbesuche und Berichte der Fürsorgerinnen dienen jetzt dazu, die vom Wohlfahrtsamt betreuten Menschen zu kontrollieren. Wer im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie als „asozial“, „arbeitsscheu“ oder „minderwertig“ eingestuft wird, dem drohen Zwangssterilisation, Zwangsarbeit oder das Konzentrationslager Dachau.[8] Elisabeth Bamberger setzt sich persönlich für eine strikte Verfolgung und Drangsalierung von Menschen im Sinne der NS-Ideologie ein. Sie beschwert sich zum Beispiel darüber, dass sich die Polizei zu oft durch vermeintlich faule Arbeitslose „an der Nase herum[führen]“ ließe.[9]

Ungebremste Karriere

Nach 1945 kann Elisabeth Bamberger ihre Karriere ungehindert fortsetzen. Sie wird Direktorin des Münchner Jugendamtes. Als formal unbelastete Person kann sie sich für frühere Kollegen einsetzen und ihnen bei der Entnazifizierung helfen.[10] Im Verein für Fraueninteressen, von dem zu dieser Zeit der Paritätische in Bayern neu aufgebaut wird, sitzt sie weiter im Vorstand.[11] Elisabeth Bamberger wird zu einer wichtigen und hoch geachteten Person in der Jugendhilfe der jungen Bundesrepublik. Sie stößt wichtige Reformen an und beteiligt sich rege am fachlichen Austausch.

Elisabeth Bamberger ist bekannt dafür, dass sie sich lebhaft an allen öffentlichen Diskussionen beteiligt, die Jugendschutz und Jugendfürsorge betreffen. Für den Paritätischen ist sie eine wichtige Expertin. Im bundesweiten Verbandsmagazin wird 1952 dieser Vortrag abgedruckt, den sie bei einer Fachtagung gehalten hat.[12]




1955 wird Elisabeth Bamberger pensioniert. Die 65-Jährige übernimmt den Vorsitz des Münchner Vereins Kinderschutz und Mutterschutz, einer der Gründungsorganisationen des Paritätischen in Bayern. Anna Heim-Pohlmann nennt sie wenig später in einem Brief „eine wertvolle Mitarbeiterin und gute Paritäterin“.[13] Anlässlich ihres 80. Geburtstags wird Elisabeth Bamberger als „vielverehrte Meisterin der Jugendhilfe“ und „Kämpferin für ein lebendiges Jugendamt“ gefeiert.[14] Sie stirbt am 23. September 1984 in München, ohne dass ihre Arbeit während der Zeit des Nationalsozialismus kritisch beleuchtet wurde.[15]

Quellen und Literatur

Quellen:

  • Archiv des Instituts für Zeitgeschichte, ED 898/ 18, Akten des Vorstands des Vereins für Fraueninteressen, 1946-1994.
  • Archiv Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband - Gesamtverband e. V., Anna Heim-Pohlmann an Kurz Göbel, 12.12.1957.
  • O. A.: Die Mitarbeit ehrenamtlicher Kräfte, in: Münchner Neueste Nachrichten, 19.6.1927, S. 33
  • O. A.: Dr. Elisabeth Bamberger zum 80. Geburtstag, in: Bayerischer Wohlfahrtsdienst. Mitteilungsblatt der Arbeitsgemeinschaft der öffentlichen und freien Wohlfahrtspflege in Bayern (1971) Heft 6, S. 6.
  • O. A.: Elisabeth Bamberger, in: Bayerischer Wohlfahrtsdienst. Mitteilungsblatt der Arbeitsgemeinschaft der öffentlichen und freien Wohlfahrtspflege in Bayern (1984) Heft 12, S. 155.
  • O. A.: Frau Dr. E. Bamberger, München, sprach zum Jugendschutzgesetz, in: DPWV-Nachrichten (1952) Heft 10, S. 4.


Literatur:

  • Angermair, Elisabeth: Die Illusion des Regenbogens. Perspektiven für Frauen in der Nachkriegsgesellschaft, München 2007.
  • Bergmeier, Monika: „Vom Lebenswunsch, sozial zu arbeiten“. Nationalökonominnen in München bis 1933, in: Häntzschel, Hiltrud/Bußmann, Hadumod (Hg.): Bedrohlich gescheit. Ein Jahrhundert Frauen und Wissenschaft in Bayern, München 1997, S. 178-193.
  • Brunner, Claudia: Frauenarbeit im Männerstaat. Wohlfahrtspflegerinnen im Spannungsfeld kommunaler Sozialpolitik in München 1918—1938, Pfaffenweiler 1994.
  • Wimmer, Florian: Die völkische Ordnung von Armut. Kommunale Sozialpolitik im nationalsozialistischen München, Göttingen 2014.


Einzelnachweise

  1. Vgl. Angermair, Elisabeth: Die Illusion des Regenbogens. Perspektiven für Frauen in der Nachkriegsgesellschaft, München 2007, S. 75.
  2. Vgl. ebd.
  3. Vgl. Brunner, Claudia: Frauenarbeit im Männerstaat. Wohlfahrtspflegerinnen im Spannungsfeld kommunaler Sozialpolitik in München 1918—1938, Pfaffenweiler 1994, S. 35—37.
  4. Vgl. Bergmeier, Monika: „Vom Lebenswunsch, sozial zu arbeiten“. Nationalökonominnen in München bis 1933, in: Häntzschel, Hiltrud/Bußmann, Hadumod (Hg.): Bedrohlich gescheit. Ein Jahrhundert Frauen und Wissenschaft in Bayern, München 1997, S. 185.
  5. Vgl. Brunner, Claudia: Frauenarbeit im Männerstaat. Wohlfahrtspflegerinnen im Spannungsfeld kommunaler Sozialpolitik in München 1918—1938, Pfaffenweiler 1994, S. 37.
  6. O. A.: Die Mitarbeit ehrenamtlicher Kräfte, in: Münchner Neueste Nachrichten, 19.6.1927, S. 33.
  7. Vgl. Jahresbericht des Vereins für Fraueninteressen und Frauenarbeit vom 1. Oktober 1932 bis 30 September 1933, in: Archiv des Instituts für Zeitgeschichte, ED 898/585, Korrespondenz des Vereins für Fraueninteressen vor 1945, 1933-1936.
  8. Vgl. Wimmer, Florian: Die völkische Ordnung von Armut. Kommunale Sozialpolitik im nationalsozialistischen München, Göttingen 2014, S. 113—114 sowie S. 125.
  9. Zitiert nach Wimmer: Die völkische Ordnung von Armut, S. 286.
  10. Vgl. Wimmer: Die völkische Ordnung von Armut, S. 415.
  11. Vgl. Archiv des Instituts für Zeitgeschichte, ED 898/ 18, Akten des Vorstands des Vereins für Fraueninteressen, 1946-1994.
  12. O. A.: Frau Dr. E. Bamberger, München, sprach zum Jugendschutzgesetz, in: DPWV-Nachrichten (1952) Heft 10, S. 4.
  13. Archiv Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband - Gesamtverband e. V., Anna Heim-Pohlmann an Kurz Göbel, 12.12.1957.
  14. O. A.: Dr. Elisabeth Bamberger zum 80. Geburtstag, in: Bayerischer Wohlfahrtsdienst. Mitteilungsblatt der Arbeitsgemeinschaft der öffentlichen und freien Wohlfahrtspflege in Bayern (1971) Heft 6, S. 6.
  15. O. A.: Elisabeth Bamberger, in: Bayerischer Wohlfahrtsdienst. Mitteilungsblatt der Arbeitsgemeinschaft der öffentlichen und freien Wohlfahrtspflege in Bayern (1984) Heft 12, S. 155.

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